: Kathinka Engel
: Fühle mich. Unendlich Roman
: Piper Verlag
: 9783492601894
: 1
: CHF 8.00
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 416
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die »Finde-mich-Reihe« geht endlich weiter! Sophias bisheriges Leben war ein einziger Kampf. Nach einer Haftstrafe hat sie jegliches Gefühl für sich selbst verloren. Mit der Patenschaft, die eine reiche alte Dame für sie übernimmt, bekommt die ehemalige Straftäterin eine zweite Chance. Philip, der Enkel der Dame, ist fasziniert von Sophias unangepasster Art, mit der sie in der gehobenen Gesellschaft aneckt. Seine eigenen Träume hat der junge Anwalt aufgrund seines Verantwortungsgefühls gegenüber der Familie nie verwirklicht. Jetzt lässt die Mischung aus Sophias Unerschrockenheit und Philips Überlegtheit all die Möglichkeiten sichtbar werden, die vor ihnen liegen. Doch ihre Vergangenheit und seine Gegenwart scheinen so unvereinbar, dass die Liebe eigentlich keine Chance hat ... Das sagen die LeserInnen zur »Finde-mich-Reihe«: »Ich bin so froh diese Reihe entdeckt und gelesen zu haben, aber bin auch traurig, dass es zu Ende ist, ich hatte noch ewig weiter lesen können. Ich würde mir noch wünschen eine Geschichte über Sophia zu lesen ...« 5-Sterne-Bewertung »Diese Geschichte war einfach ein Lesegenuss und ich kann diese Reihe wirklich jedem empfehlen! Ich kann es kaum erwarten, weitere Bücher der Autorin zu lesen und hoffentlich ebenso zu verschlingen.« 5-Sterne-Bewertung »Ich freue mich schon sehr auf weitere Bücher von Kathinka Engel, die ich mir nicht entgehen lassen werde.« 4-Sterne-Bewertung »Ich werde die Charaktere richtig vermissen. Es war mir ein absolutes Lesevergnügen und ich kann euch die Reihe wirklich nur wärmstens ans Herz legen. Ich bin eigentlich traurig, dass es schon vorbei ist, aber wer weiß, was die Autorin zukünftig noch so in petto hat.« 5-Sterne-Bewertung  »Ein wenig bricht es mir das Herz, dass die erste Trilogie von Kathinka Engel jetzt schon wieder beendet ist. Das ging viel zu schnell.« 5-Sterne-Bewertung Kathinka Engel kennt die Buchwelt aus verschiedensten Perspektiven: Als leidenschaftliche Leserin studierte sie allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft, arbeitete für eine Literaturagentur, ein Literaturmagazin und als Redakteurin, Übersetzerin und Lektorin für verschiedene Verlage. Mit ihrem Debüt »Finde mich. Jetzt« schaffte sie es aus dem Stand auf die Spiegel-Bestsellerliste.

Kathinka Engel kennt die Buchwelt aus verschiedensten Perspektiven: Als leidenschaftliche Leserin studierte sie allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft, arbeitete für eine Literaturagentur, ein Literaturmagazin und als Redakteurin, Übersetzerin und Lektorin für verschiedene Verlage. Wenn sie nicht gerade schreibt oder liest, trifft man sie in Craft-Beer-Kneipen, im Fußballstadion oder als Backpackerin auf der Suche nach dem nächsten Abenteuer. Mit ihrem Debüt »Finde mich. Jetzt« schaffte Kathinka Engel es aus dem Stand auf die SPIEGEL-Bestsellerliste. Bei Instagram teilt sie unter @kathinka.engel ihre Begeisterung für Bücher.

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Sophia


Für einen kurzen Augenblick liegt Amys Hand auf meiner Schulter. Es ist nur ein vorsichtiges Dirigieren. Nur eine winzige Berührung. Aber es ist eine Berührung, und ich fühle sie. Durch mein T-Shirt hindurch. Leichter Druck, Wärme auf der Haut. Meine miese Laune, die Angst vor unserem Gespräch, alles wird überlagert von diesem kurzen Gefühl von Nähe und Verbundenheit. Auch wenn’s vielleicht eine Lüge ist. Auch wenn’s vielleicht Manipulation ist. Aber ich bin wohl ein leichtes Opfer. Verfickte Hölle.

»Wir beide haben heute etwas zu feiern«, sagt Amy und zeigt auf zwei Schokomuffins, die in ihrem Empfangszimmer auf dem kleinen Tisch zwischen Sofa und Sessel stehen. Es sind die aus demImogen’s.

»Was denn?« Ich gebe mir Mühe, nicht verschlossen zu wirken. In den letzten Monaten habe ich angefangen, mich weniger gegen Amys Fragen zu wehren, weil ich weiß, dass sie es nur gut meint. Und weil ich das Gefühl habe, dass es besser für mich ist, wenn ich mit ihr zusammenarbeite. Chancen nutzen und so. Auch wenn Amys Büro nicht unbedingt der Ort ist, an dem ich am liebsten auf der Welt bin. Man fühlt sich beobachtet.Evaluiert, wie Amy es nennt.

»Sechs Monate, Sophia. Ein halbes Jahr! Ich hoffe, du bist stolz auf dich.«

Ach so, das. Ja. Sechs Monate. Das bedeutet, dass mich sechs Monate davon trennen,resozialisiert zu sein. Wie Rhys. Rhys ist mein Chef imImogen’s. Aber dafür muss ich Amys Programm absolvieren. Und dafür muss ich dieses Gespräch bestehen. Und dafür darf ich nicht zu unnahbar wirken. »Hm, ich weiß nicht, ob ich es Stolz nennen würde.«

»Wie denn dann?«, fragt Amy, und damit ist die Evaluierung eröffnet.

Amy sitzt mir gegenüber in ihrem Sessel und schreibt etwas auf ihren Fragebogen. Später wird sie ihn in meine Akte heften.ZweitesQuartalsgespräch steht obendrüber.

Alle drei Monate haben Amys Schützlinge, wie sie uns nennt, einen Termin bei ihr. Neben den regelmäßigen Besuchen zu Hause oder auf der Arbeit sind das die Momente, vor denen man sich am meisten einscheißt. Dabei ist Amy eigentlich nett. Richtig nett. Aber Nettigkeit ist was, das mir eine Heidenangst einjagt. Bin wohl nicht wirklich dran gewöhnt, dass die Leute nett zu mir sind.

Zähne zusammenbeißen, reden. »Es ist ein bisschen, als würde ich auf Zehenspitzen gehen«, sage ich. In mir sträubt sich alles dagegen, solche Dinge von mir preiszugeben, aber ich weiß, dass es absolut keinen Sinn hat, Amy nicht alles zu erzählen. Nicht nur, weil sie es ohnehin aus einem rauskriegt, ob man will oder nicht. Sondern auch, weil das meine Chance ist. Amy, das Resozialisierungsprogramm, der Job, die Wohnung …

»Was meinst du damit?« Sie blickt von ihrem Fragebogen auf und sieht mich interessiert an. Viel zu interessiert. Ich hasse das. Blicke auf mir. Ich weiß dann nie, wie ich mich verhalten soll.

Also verschränke ich die Arme. Zum Schutz. Es kommt mir selbst völlig lächerlich vor. Wovor will ich mich denn schützen? »Na ja …« Aber ich schätze, es ist einfach merkwürdig, sich auf diese Weise umzukrempeln. Das Innere nach außen, damit es jemand evaluieren kann. »Also …« Es fühlt sich an, als würde man sich komplett nackt machen. Nur ist es eben das beschissene Gehirn, das nackt ist. »Ich glaube, ich will so sehr alles richtig machen, dass ich mich selbst blockiere, weißt du?« Da. Das ist es.

»Hast du ein Beispiel?«

»Gestern in der Schule erst. Es wurde eine Frage gestellt. Ich wusste die Antwort. Oder ich dachte, ich wüsste sie. Aber ich hab mich nicht gemeldet, weil ich mir auf einmal selbst nicht mehr getraut habe.«

»Was wäre denn passiert, wenn die Antwort falsch gewesen wäre?«, fragt Amy, während sie etwas aufschreibt.

»Also, in den Knast wäre ich wohl nicht gekommen.« Es klingt zwar wie ein beschissener Witz, aber genau davor habe ich Angst. Dass ich etwas falsch mache, aus dem Programm fliege, wieder Mist baue und zurück ins Gefängnis komme. Für länger diesmal. Wenn man einmal in diesem verfickten System drin ist, geht das viel schneller. Sagt Malik. Und der muss es wissen, den haben sie gleich wieder eingebuchtet damals.

»Nein, das wärst du nicht. Wofür würdest du in den Knast kommen?«

Was für eine bescheuerte Frage. »Wenn ich was Kriminelles mache halt.«

»Und hast du vor, was Kriminelles zu machen?«

Eine noch bescheuertere Frage. »Natürlich nicht.«

»Dukannst dir selbst vertrauen. Seit sechs Monaten hast du dir nichts zuschulden kommen lassen. Du gehst in die Abendschule, arbeitest imImogen’s. Rhys ist sehr zufrieden mit dir. Du darfst dir durchaus ein bisschen Freiraum erlauben.«

Rhys. Der irgendwann auch mal hier saß. Auf meiner Seite des Sofas. Der es geschafft hat, ein richtiges Leben zu führen.

»Ja, das denk ich auch manchmal. Und dann bin ich mir aber nicht sicher, wie der Freiraum aussehen soll.«

»Was macht dir denn Spaß?«

»Jeden Morgen aufzuwachen und zu wissen, dass das jetzt mein Leben ist.« Die Antwort kommt schnell. So schnell, dass es mich überrascht. So schnell, dass Amy lächelt. Natürlich.

»Was noch?«

»Ins Bett zu gehen und zu wissen, wenn ich am nächsten Morgen aufwache, ist das immer noch mein Leben.«

»Was noch?«

»Ich schätze, ich mag die Arbeit. Ich mag es, dass ich dazugehöre irgendwie.« Wie bescheuert klingt das denn?

»Wieso sagst du ›irgendwie‹?«

»Weil’s irgendwie so ist?« Weil es sich verflucht unwirklich anfühlt, Teil von was zu sein.

»Da war wieder das ›irgendwie‹.«

Aber vielleicht gehört es eben auch einfach da hin? »Ja, okay, also dann bin ich halt Teil vom Team.«

Teil von Rhys’ High Fives, nach denen man sich ein bisschen stolz fühlt. Teil des etwas zu festen Auf-die-Schulter-Klopfens von Ollie. Aber sie meint es nett. Das ist unser Ding. Das und die Tatsache, dass ich Frühschichten für sie übernehme, weil sie gern lange schläft. Teil von Celia und Sophia.

»Ich mag sogar die Abendschule irgendwie.«

»Das klingt, als hättest du das nicht erwartet.«

»Schule war nie meins. Aber das weißt du ja.«

»Was hat sich verändert?«

»Ich hab begriffen, dass das die Regeln sind. Deine Regeln.«

»Meine Regeln?«

»Na ja, ich hab gesagt, ich mach das Programm nicht, wenn ich wieder in eine Familie muss. Du hast gesagt, dafür musst du deinen Abschluss machen. Das war ein Moment, in dem ich dachte, wow, da nimmt mich jemand ernst. Und deswegen nehme ich es jetzt ernst.«

Amy nickt. Schreibt und nickt. Dann: »Weißt du, Sophia, ich finde, das klingt so, als hättest du eigentlich alles ziemlich gut im Griff.«

»Findest du?«

»Findest du nicht?«

»Na ja. Ich will echt alles richtig machen. Aber dann gibt’s Momente, da ist es nicht so leicht.« Im Gegenteil, es ist scheiße schwierig. Aber vielleicht muss ich das meiner Sozialarbeiterin nicht unbedingt auf die Nase binden.

»Das ist es für niemanden.«

»Aber alle anderen kriegen’s hin …«

»Vieles sieht nach außen einfacher aus, als es in Wahrheit ist. Wenn man dich sieht, würde man auch nicht glauben, dass du manchmal kämpfst. Du weißt nicht, was hinter der Fassade passiert.« Amy lächelt wieder.

»Ja, nee, ist klar.«

»Und du weißt nicht, wo die anderen angefangen haben. Es ist für alle ein weiter Weg. Erinnerst du dich an den Tag vor sechs Monaten?«

»Schon, ja.« Amy holte mich vom Pearley Juvenile Prison ab. Mit ihrer Pflegetochter Jeannie. Und dann sind wir in eine Mall gefahren, um Klamotten zu kaufen. Das war noch, bevor sie anfing, mir mit Fragen auf die Nerven zu gehen. Und es war, bevor ich anfing, mich an die Fragen zu gewöhnen.

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