1. Kapitel
»Womit hab ich denn diesen Kaffee verdient?« Pia Korittki blickte irritiert auf den Becher, den ihr Kollege Heinz Broders ungefragt auf ihren Schreibtisch stellte. »Ist das da obendrauf etwa Milchschaum?«
»Für meine Lieblingskollegin tue ich doch alles.« Er musterte sie über seinen eigenen Becher hinweg. »Außerdem siehst du so aus, als könntest du eine Aufmunterung gebrauchen.« Er kramte in seiner Schreibtischschublade und förderte eine Packung Schokoladenkekse zutage. »Ich allerdings auch.«
Pia sicherte die Datei, den Bericht über den gefesselten Toten vom Waldfriedhof. Der Mann war an Kopfverletzungen, verursacht durch einen Mauerstein, ums Leben gekommen. Ein Verbrechen, so brutal, dass es selbst die langjährigen Kriminalbeamten des Kommissariats 1 schockiert hatte, die zuständig waren für Kapitaldelikte und Mordermittlungen. Pia war seit beinahe acht Jahren im K1 der Bezirkskriminalinspektion Lübeck tätig. Inzwischen als Kriminalhauptkommissarin. Mit Heinz Broders, ebenfallsKHK, bildete sie zumeist ein Team. Sie nahm den Kaffeebecher in beide Hände. »Hey, ich müsste großartig aussehen. Könntest du nicht wenigstens so tun als ob? Immerhin hab ich ab morgen Urlaub.«
»Ich weiß. Und ausnahmsweise gebe ich unserem Chef einmal recht: Es ist höchste Zeit, dass du dir mal wieder ein paar Tage freinimmst.« Er schob ihr die angebrochene Kekspackung herüber, doch Pia ignorierte das Angebot.
»Ist ja auch ein toller Zeitpunkt für einen Urlaub. Richtiges Traumwetter«, sagte Pia und warf einen Blick aus dem Fenster. Das Kommissariat residierte im siebten Stock des Polizeihochhauses, wie es allgemein genannt wurde, sodass sie von hier oben einen Blick über die Stadt, die Grünanlegen um den Sportplatz Buniamshof und die Türme der Lübecker Altstadt hatte. Normalerweise. Heute war der Nebel so dicht, als hätte jemand über Nacht Milchglasscheiben in die Fenster eingesetzt. Ihr Sohn Felix sollte morgen mit seinem Vater und dessen Familie für eine Woche nach Teneriffa fliegen. Hinnerk und seine Frau Mascha wollten die Zeit nutzen, in der Felix noch in den Kindergarten ging und sie nicht auf die überteuerten Angebote in den Schulferien angewiesen waren. Pias Plan für diese Tage war gewesen, mal ohne zeitliche Beschränkungen arbeiten zu können, doch Manfred Rist, der Leiter des Kommissariats 1, hatte Pia vor Kurzem in sein Büro zitiert und ihr quasi die Pistole auf die Brust gesetzt. Wenn sie nicht ab nächster Woche ihren Resturlaub nähme, würde der für alle Zeiten verfallen. Als diese Ankündigung nicht ausreichte, hatte er damit gedroht, sie im nächsten Jahr nur alte Fälle bea