ZWEI
»Erlauben Sie Kindern nicht, Drinks zu mixen.
Es gehört sich nicht, und sie nehmen zu viel Wermut.«
Fran Lebowitz
Niemand konnte das Haus der Lerchenfelds übersehen. Blicke hafteten daran wie Fliegen an einem klebrigen Fänger. Es war in einem verwaschenen Rosa gestrichen, die alten Dachziegel stammten aus Nizza, und Palmen wuchsen davor. Solch ein Haus gehört eigentlich an die Côte d’Azur. Ein Traum in Mauerwerk und Schindeln, der die Handwerker Merdingens fast in den Wahnsinn getrieben hatte.
Es war außerdem die große Liebe von Benes Mutter.
Ihr Grundschullehrer hatte damals gesagt, die Katharina müsse aufs Gymnasium. Ja, er war sogar extra zu ihren Eltern gefahren und hatte sie gedrängt, das begabte Mädchen dorthin zu schicken. Doch Katharinas Eltern sahen nicht ein, warum ihre Tochter ein Abitur erwerben sollte. Stattdessen wollten sie, dass Katharina so schnell wie möglich Geld nach Hause brachte. Deshalb wurde sie Kindergärtnerin, und viele Träume, auch der davon, Französisch zu lernen und in Paris zu studieren, wurden begraben.
Nun war sie die beste Schülerin derVHS Breisach. Ihre Frankreichliebe ging so weit, dass sie sich auch im Aussehen an berühmten französischen Schauspielerinnen orientierte. Doch trotz teurer Friseurbesuche hatte es immer nur für Uschi Glas gereicht.
Aber ihr Haus, das hatte sie richtig frisiert bekommen.
Und obwohl sie es so liebte, war sie meistens im Garten zu finden – der allerdings den besten Blick auf das Haus bot. Katharina Lerchenfeld züchtete hier Kräuter und Gemüse, um sie dann à la française zuzubereiten. Sie sprach ihren Namen nie deutsch aus, wenn sie sich vorstellte, sondern französisch, ohne »a« hinten und mit Betonung auf der letzten Silbe, wie bei Catherine Deneuve, die sie sehr verehrte. Manche Menschen lebten im falschen Körper, Benes Mutter lebte im falschen Land.
»Hallo, Maman«, rief Bene ihr zu, als er aus dem Wagen stieg. Hier war er allerdings nicht Bene, hier firmierte er unter seinem richtigen Namen, den er ebenfalls der Leidenschaft seiner Mutter für Frankreich zu verdanken hatte. Eigentlich hieß er Benoit Lerchenfeld, was seiner Meinung nach wie Schnitzel béarnaise klang.
Benes Mutter blickte aus einem Beet auf, in dem sie gerade Unkraut rupfte, und strich sich mit dem Handrücken eine Strähne aus dem Gesicht. Sie mochte es, wenn Bene sie Maman nannte – doch diesmal führte es nicht zu einem Lächeln. »Wo bist du gestern denn gewesen? Ich hatte das Essen auf dem Herd für dich. Coq au Vin, das liebst du doch so.«
»Ich hatte etwas Dringendes zu tun.«
Sie stand auf und gab ihm einen etwas zu harten Kuss auf die Wange. Eine Art zärtliche Ohrfeige. »Hättest dich ja wenigstens mal melden können. Ich habe dir aber eine Portion eingefroren, die kannst du dir mitnehmen.«
»Alles klar.« Er würde es nicht wagen, ohne Coq au Vin zu fahren. Und es später natürlich telefonisch ausgiebig loben.
»Wir von den Landfrauen stellen gerade ein Kochbuch zusammen, da will ich das Rezept auch drin haben. Aber einige stellen sich quer, weil es kein regionales Rezept ist. Ich koche es seit über vierzig Jahren, also ist es regional!«
»Das werden sie schon noch einsehen«, sagte Bene lächelnd. »Du, sag mal, stehen Papas alte Sachen noch in der Garage?«
Sie rieb sich die erdverkrusteten Hände an der Schürze ab. »Das hast du ja noch nie gefragt.«
»Ist wichtig.«
»Warum ist das denn plötzlich wichtig?«
»Wegen seines Gins. Den hab ich endlich aufgemacht. Und er ist extrem gut.«
Sie presste die Lippen aufeinander. »Es gibt keine Sachen mehr. Ich habe alles entsorgt. Mit dem Zeug konnte man ja nichts mehr anfangen.«
»Aber du schmeißt doch sonst nie was weg!«
»So ein Quatsch. Natürlich werfe ich Sachen weg, sonst würde unsere Maison doch längst überquellen. Du merkst es nur nicht. Hast du früher schon