1. Kapitel
Esslingen, 11. Februar 1905
»… und so möchte ich dich, liebe Minna, fragen, ob du meine Frau werden willst!« Heinrich Grohe nahm Mimis Hände in seine und sah sie erwartungsvoll an.
Minna?, fuhr es Mimi durch den Kopf. So wurde sie nur von ihrer Mutter genannt, und auch immer nur dann, wenn diese etwas an ihr zu kritisieren hatte. Nur mit Mühe unterdrückte sie ein nervöses Lachen. Da bekam sie einen Heiratsantrag, und das Einzige, was ihr dazu einfiel, war, zu monieren, dass Heinrich nicht ihren Spitznamen verwendete!
Darauf bedacht, das kleine Sträußchen Freesien, das zwischen ihnen auf dem Tisch stand, nicht umzuwerfen, entwand Mimi Heinrich ihre rechte Hand und griff nach ihrem Sektglas. Die kleinen Perlen des sprudelnden Getränks zerplatzten auf ihrer Zunge genauso wie die Gedanken in ihrem Kopf, noch bevor sie einen davon zu fassen bekam.
Er strahlte sie an. »Jetzt bist du baff, nicht wahr? Ich weiß, das kommt ein wenig plötzlich. Und mit deinen Eltern habe ich auch noch nicht gesprochen. Aber heute ist dein Geburtstag. Und da dachte ich, dies wäre doch ein passendes Geschenk!« Er machte eine ausschweifende Handbewegung, die das Café, in dem sie saßen, den Sekt, den Blumenstrauß und sie beide einschloss.
Ein Heiratsantrag als Geschenk? Mimi blinzelte ein paarmal, als wollte sie sich vergewissern, dass sie nicht träumte. Im Wintersonnenlicht, das durch die Milchglasscheibe des Cafés einfiel, leuchtete Heinrichs blonder Schopf, als habe der liebe Gott ihm persönlich einen Heiligenschein aufgesetzt.
Es war Samstag, der elfte Februar, ihr Geburtstag. Heinrich hatte sie kurz nach zwölf von der Arbeit im Fotoatelier Semmering abgeholt, so, wie er es samstags fast immer tat. Dann bummelten sie meistens eine Weile durch die Stadt, schauten sich die Schaufenster der eleganten Geschäfte an, schlenderten durch den Park. Anfang des Monats, mit dem Lohn in der Tasche, kehrten sie hin und wieder auch in eins der günstigen Gasthäuser rund um den Esslinger Marktplatz ein. Zum Klang des Glockenspiels vom nahegelegenen Rathaus aßen sie dann Kutteln oder Bratkartoffeln mit Speck. Normalerweise teilten sie sich die Rechnung, da weder Heinrich als Vikar in der Pfarrei ihres Vaters noch sie als Angestellte eines Fotoateliers sonderlich gut verdienten. Aber wen kümmerte das, wenn man jung und verliebt war? Heinrich mit seinen blauen Augen, der hohen Denkerstirn und den blonden Haaren, und sie, die Pfarrerstochter Mimi Reventlow, sechsundzwanzig Jahre alt, stets in ein Ausgehkostüm gekleidet, die kastanienbraunen Haare elegant hochgesteckt – sie waren ein schönes Paar. Wenn sie Arm in Arm durch die Straßen der alten Reichsstadt spazierten, drehten sich öfter die Köpfe nach ihnen um. Noch einmal so jung sein und die Zukunft vor sich haben!, las Mimi in den Blicken der Menschen.
Als Heinrich sie heute pünktlich um zwölf abgeholt hatte, hatte Mimi an ein ähnliches Samstagsprogramm gedacht, einzig vielleicht mit dem Unterschied, dass Heinrich sie anlässlich ihres Geburtstags wahrscheinlich einladen würde. Er hatte ihr die Blumen überreicht, ihr zum Geburtstag gratuliert und einen Kuss auf die Wange gegeben. Statt in eins der Gasthäuser zu gehen, in denen es nach Spiegeleiern und Sauerkraut roch, hatte er sie dann in ein elegantes Café geführt und dort eine ganze Flasche Sekt bestellt. Mimi hatte erstaunt die Brauen hochgezogen. Eine solche Extravaganz – wi