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Dr. Bernd Obermüller war ein gut aussehender, schlanker, hochgewachsener Mann Mitte fünfzig. Die graumelierten Haare waren nicht seine eigene, natürlich gewachsene Haartracht, sondern der Erfolg von Haarverpflanzungen und kunstvoller Drapierung derselben. Er hielt viel auf sich und sein Aussehen. Als er um vierzig herum feststellte, dass seine Haarfülle immer dünner wurde, gab er viel Geld aus, dies zu verhindern. Er meinte zwar immer – besonders zu anderen, die sich das nicht leisten konnten – dass es wichtiger sei, etwasim Kopf alsauf demselben zu haben, nahm dies aber für sich selbst nicht in Anspruch.
Seine Anzüge waren, ebenso wie seine Schuhe, in Italien maßgeschneidert und handgenäht. Die Krawatten bezog er aus dem Liberty Haus in London. Alles, was keinen Namen hatte, den man lesen konnte, wenn man die Innenseite der Jacke wie zufällig zur Schau stellte, verachtete er. Und er pflegte das Jackett stets so zu legen, dass man die Marke wahrnehmen musste. Er konnte es nur schwer mit ansehen, wie die jungen Mitarbeiter in Jeans und Blazer zur Arbeit kamen. Wenn die Jeans wenigstens von einem Designer kämen. Aber einfach nur Jeans aus dem Kaufhaus waren eine Schande in sich selbst. Wie die Träger derselben eine Schande waren. Er sah darin einen Zerfall der Kultur, etwas, was man aufhalten sollte. Er verglich es mit dem Zerfall des Römischen Reichs und fragte sich, wie lange es dauern würde, bis auch uns dieses Schicksal ereilte. 'Wie kann man sich vom normalen Volk unterscheiden, wenn man deren Gepflogenheiten annimmt?', meinte er häufig. Wie sich abheben von der normalen, dumpfen Gesellschaftsschicht, wenn man genauso aussah wie diese? Das sei keine Option. Nein, das musste sogar unter allen Umständen verhindert werden. Nur der weise Einwand seines Personalvorstands hielt ihn davon ab, eine entsprechende Kleiderordnung einzuführen.
Er jedoch, fand er, war eine angemessene Kleidung seiner Position schuldig. 'Vorsitzender einer großen Firma zu sein, bringt besondere Opfer mit sich', war einer seiner Standardsprüche, wenn ihn jemand darauf ansprach. Und dann lächelte er und zeigte seine strahlend weißen Zähne aus Porzellan, wohl wissend, dass sich das Gegenüber neidisch in sich selbst zurückzog und seine eigene, so minderwertige Existenz zu tiefst bedauerte.
An diesem Nachmittag aber saß er mit halb offenem Hemdkragen, einer fast bis zum Nabel gelösten Krawatte und hochgekrempelten Ärmeln im Konferenzzimmer und hörte a