Als ich dreizehn Jahre alt war, fing ich an, die Sommersprossen auf meinem Arm miteinander zu verbinden, eine Art Punktebild. Da ich Rechtshänderin bin, entstand auf meinem linken Arm ein Netz aus blauen Linien. Nach einer Weile entwickelten sich daraus Sternbilder, nachgezeichnet von Sommersprosse zu Sommersprosse, bis meine Haut den Nachthimmel widerspiegelte. Der Große Wagen, manchmal auch Großer Bär genannt, war mein liebstes Sternbild. Nachts erkannte ich es sofort. Wenn wir im Internat das Licht ausmachen mussten und sich Stille über die Korridore senkte, dimmte ich mein Leselicht, nahm einen blauen Tintenroller und zeichnete die sieben Sterne nach, eine Sommersprosse nach der anderen, bis meine Haut einer Nachtkarte ähnelte.
Dubhe, Merak, Phecda, Megrez, Alioth, Mizar und Alkaid. Nicht immer verwendete ich dieselben Sommersprossen, manchmal hatte ich Lust, mich der Herausforderung zu stellen, die Konstellation anderswo nachzuzeichnen, zum Beispiel auf meinen Beinen. Allerdings tat mir vom Zusammenkauern irgendwann der Rücken weh. Außerdem fühlte es sich unnatürlich an – als zwänge ich die anderen Sommersprossenansammlungen dazu, etwas zu werden, was sie gar nicht waren. Es gab die idealen sieben Sommersprossen auf meinem linken Arm, für den Großen Wagen perfekt angeordnet. Deshalb gab ich die Versuche mit den anderen Sommersprossen schließlich auf, und wenn die morgendliche Dusche die Tinte weggespült hatte, begann ich von neuem.
Dem Großen Wagen folgte Kassiopeia. Sie war einfach. Dann kamen das Kreuz des Südens und Orion. Pegasus mit insgesamt vierzehn Sternen – beziehungsweise Sommersprossen – war kompliziert, aber meine Arme bekamen, vom Gesicht abgesehen, mehr Sonne als der Rest meines Körpers und bildeten daher mehr Sommersprossen, die perfekt für eine Vierzehn-Sterne-Konstellation positioniert waren.
Wenn es im Internatsschlafsaal dunkel wurde, fasste sich Caroline in der Schlafnische neben mir schwer atmend selbst an – sie dachte wohl, niemand würde es mitkriegen –, von der anderen Seite hörte ich Louise in den Anime-Comics blättern, die sie im Schein ihrer Taschenlampe las. Gegenüber arbeitete Margaret sich durch eine ganze Tüte Minicrunchys. Später steckte sie sich dann den Finger in den Hals und kotzte sie wieder aus. Olivia übte mit einem Spiegel das Küssen, während Liz und Fiona es lieber zusammen ausprobierten. Catherine schluchzte leise, weil sie Heimweh hatte, und Katie schrieb Hassmails an ihre Mam, die ihren Dad betrogen hatte. Auch alle anderen im Mädcheninternat nutzten den einzigen winzigen Raum, den sie ihr Eigen nannten, um sich in ihre Privatgeheimnisse zu vertiefen, während ich meine Sommersprossen kartographierte, als wären es Sterne.
Mein Geheimnis blieb nicht sehr lange geheim. Schließlich war ich jeden Abend dabei, neue blaue Linien über alte blaue Linien zu zeichnen, und irgendwann ließen sie sich nicht mehr abwaschen. Die Tinte setzte sich in meinen Poren fest, und nicht mal eine Scheuerbürste, heißes Wasser und die hoch motivierte Nonne Schwester Lasstuns (von uns allen so genannt, weil sie dazu neigte, jeden Satz mit »Lasst uns« zu beginnen, beispielsweise »Lasst uns danksagen und beten« oder »Lasst uns unsere Bücher auf Seite sieben aufschlagen« und – da sie auch unsere Basketballtrainerin war – »Lasst uns Korbleger üben«) konnten etwas dagegen ausrichten oder mich davon abbringen. Im Duschraum, beim Schwimmen oder wenn ich etwas Kurzärmeliges anhatte, wurde ich komisch angeschaut. Das sonderbare Mädchen mit den Linien auf dem Arm. Zwar schämte ich mich nicht im Geringsten meiner Zeichnungen, streckte stolz den Arm aus und erklärte allen, dass es Sternkonstellationen, Tiere, mythologische Gestalten und Kreaturen, Götter und Objekte waren, doch die Antworten darauf beliefen sich auf eine Lektion über Tintenvergiftung, Termine bei der Schulpsychologin oder Extrarunden auf der Aschenbahn. Sie wussten, dass körperliche Gesundheit gleich geistige Gesundheit war, und versuchten, mich mit möglichst vielen Aktivitäten zu beschäftigen, um mich davon abzubringen, meine Haut zu malträtieren. Für mich fühlte sich alles an wie eine Strafe. Zwingt sie, im Kreis zu laufen. Bringt sie dazu, sich von ihrer Haut fernzuhalten. Aber man kann niemanden von der eigenen Haut fernhalten. Schließlich steckt doch jeder in seiner eigenen Haut und kann sie nicht einfach ablegen. Ganz gl