Alex Recht arbeitete seit mehr als einem Vierteljahrhundert bei der Polizei, und er war der Ansicht, mit Fug und Recht für sich in Anspruch nehmen zu dürfen, eine mehr als achtbare Erfahrung zu besitzen und sich im Lauf der Jahre ein gewaltiges Maß an Fachkompetenz und eine hervorragende Intuition erworben zu haben. Man sagte ihm nach, er habe ein gutes Bauchgefühl.
Für einen Polizisten gab es kaum etwas Wichtigeres als ein gutes Bauchgefühl. Das war es, was den guten Polizisten auszeichnete – das ultimative Kriterium, das die Spreu vom Weizen trennte. Das Bauchgefühl konnte zwar niemals die Fakten ersetzen, aber es vervollständigte sie. Wenn alle Fakten auf dem Tisch lagen, wenn alle Puzzlestückchen identifiziert waren, dann galt es zu verstehen, was man sah, und die Fragmente des Wissens, die man vor sich hatte, zu einem Ganzen zusammenzufügen.
»Viele sind berufen, aber nur wenige auserwählt«, hatte Alex’ Vater gesagt, als er zum Dienstantritt seines Sohnes eine Rede gehalten hatte.
Eigentlich hatte der Vater sich gewünscht, dass sein Sohn – wie die anderen Erstgeborenen in der Familie auch – Pfarrer würde. Es war ihm schwergefallen, sich damit abzufinden, dass der Sohn lieber Polizist werden wollte.
»Die Polizeiarbeit erfordert in der Tat auch eine gewisse Berufung«, hatte Alex gesagt, um ihn versöhnlich zu stimmen.
Der Vater hatte einige Monate lang darüber nachgedacht und ihm schließlich mitteilen lassen, dass er vorhabe, die Berufswahl seines Sohnes zu akzeptieren und zu respektieren. Vielleicht wurde das Ganze auch dadurch vereinfacht, dass irgendwann Alex’ Bruder beschloss, Pfarrer zu werden. Ob dies nun miteinander zu tun hatte oder nicht – Alex war seinem Bruder jedenfalls auf ewig dankbar.
Alex arbeitete gern mit Menschen zusammen, die sich genau wie er selbst zu ihrer Arbeit berufen fühlten. Er arbeitete gern mit Menschen, die eine gute Intuition besaßen und ein Gefühl dafür hatten, was eine Tatsache war und was Unsinn.
Vielleicht, so dachte er bei sich, als er im Auto zum Stockholmer Hauptbahnhof saß, vielleicht fiel es ihm deshalb so schwer, sich an seine neue Kollegin zu gewöhnen. Fredrika Bergman schien sich weder berufen zu fühlen, noch wirkte sie besonders begabt für die Aufgabe. Allerdings glaubte er auch nicht, dass sie sonderlich lange bei der Polizei bleiben würde.
Alex schielte zu ihr hinüber. Sie hatte einen so unglaublich geraden Rücken. Eine Zeit lang hatte er überlegt, ob sie vom Militär kam. Er hatte sogar ein wenig gehofft, dass es so sein möge. Aber so gründlich er ihre Unterlagen auch durchgesehen hatte, gab es doch keine einzige Zeile, die darauf hinwies, dass sie auch nur eine Stunde bei der Armee verbracht hatte. Alex seufzte. Vermutlich war sie ganz einfach Sportlerin. So einen verflucht geraden Rücken hatte keine Frau, die nichts Spannenderes mit ihrem Leben anzufangen gewusst hatte, als an der Universität zu studieren.
Alex räusperte sich leise und überlegte, ob er vielleicht etwas zu dem Fall sagen sollte, ehe sie am Bahnhof ankamen. Fr