: Franz Hohler
: Der Autostopper Die kurzen Erzählungen
: Luchterhand Literaturverlag
: 9783641146399
: 1
: CHF 11.60
:
: Erzählende Literatur
: German
: 768
: DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die erste vollständige Sammlung sämtlicher kurzer Erzählungen von Franz Hohler.
Erstmals in einem Band versammelt: sämtliche kurzen Erzählungen Franz Hohlers. Mit einem Nachwort von Beatrice von Matt.

Vor über vierzig Jahren erschien mit dem Band »Idyllen« Franz Hohlers erste Sammlung mit kurzen Erzählungen. Der Titel kann in seiner ironischen Brechung als Programm verstanden werden: Idyllisch geht es in diesem Band und in den weit über einhundert anderen Erzählungen, die Franz Hohler seither geschrieben hat, allenfalls auf der Oberfläche zu. Im Untergrund rumoren dunkle Kräfte und brechen hervor, ohne sich um den schönen Schein des Alltags zu kümmern. Eine buntere, phantasievollere, manchmal auch böse und abgründige Welt zeigt sich. Sie verstört den Leser vielleicht, macht ihn aber auch mit den Kehrseiten des Lebens bekannt, von denen jeder weiss, dass sie existieren, auch wenn sie sich lange ruhig verhielten und unsichtbar blieben.

Erstmals sind in diesem Band sämtliche kurzen Erzählungen von Franz Hohler gesammelt. Das macht diesen Band zu einem imposanten Zeugnis höchster Erzählkunst aus dem über vierzigjährigen Schaffen eines der bedeutendsten Autoren seiner Generation - und zu einem beispiellosen Lesevergnügen.

Beatrice von Matt, Kritikerin und langjährige Literaturredakteurin der Neuen Zürcher Zeitung, hat das Werk von Franz Hohler schreibend begleitet. Für diesen Band hat sie ein informatives und höchst lesenswertes Nachwort verfasst.

Franz Hohler wurde 1943 in Biel, Schweiz, geboren. Er lebt heute in Zürich und gilt als einer der bedeutendsten Erzähler seines Landes. Hohler ist mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden, unter anderem mit dem Alice-Salomon-Preis und dem Johann-Peter-Hebel-Preis. Sein Werk erscheint seit über fünfzig Jahren im Luchterhand Literaturverlag.

Ein eigenartiger Tag

Welch ein eigenartiger Tag! Welch ein eigenartiger Tag!

Es regnet geradezu übertrieben. Am Bahnhof Meilen, wohin ich mit dem Auto fahre, sind alle Parkplätze besetzt, ich überlege mir, ob ich unkorrekt in die blaue Zone soll, oder ob ich mit dem Auto nach Zürich soll, wie alle, die ein Auto haben, aber ich will nicht sein wie die, die ihr Auto unkorrekt in die blaue Zone stellen und auch nicht wie die, die mit dem Auto nach Zürich fahren, also fahre ich, dem Zug um weniges voraus, nach Feldmeilen, verlange dort schnell ein Billett und einen Parkschein für das Auto, denn das braucht man, wenn man den Wagen im Verkehr mit derSBB länger als 30 Minuten stehen lassen will, dieser Parkschein muß aber unbegreiflicherweise vom Schalterbeamten zuerst ausgefüllt werden, währenddessen fährt schon der Zug ein, ich springe zum Auto, lege den Parkschein gut sichtbar unter die Windschutzscheibe, eile dann in langen Sätzen die Unterführung hinunter und hinauf auf das Perron, wo sich die Türen soeben automatisch zischend geschlossen haben, ich reiße eine Türe nochmals auf, wogegen sich das Blockierungssystem in der für diesen Fall vorgesehenen Weise zur Wehr setzt, aber ich bin stärker und bin im Zug, in dessen erstes Coupé ich mich setze, einer unbeweglichen Frau gegenüber. Kaum fährt der Zug, kommt mir in den Sinn, daß ich ja, um mich korrekt zu verhalten, das Billett am automatischen Billettentwerter hätte entwerten müssen und denke, dann tu ich das halt an der nächsten Station, ich will nach dem Billett greifen, weiß aber nicht, wohin ich da greifen soll, weil mir jede Erinnerung an das Billett fehlt. Da ich Kleidungen mit vielen Taschen bevorzuge und auch eine Einkaufstasche mit mehreren aufgenähten Taschen bei mir habe, durchsuche ich nun der Reihe nach alle meine Taschen, zuerst tastend, dann, indem ich den Inhalt herausnehme und betrachte, die unbewegliche Frau rührt sich nicht, aber ich fühle, daß sie durch meine Unruhe beeinflußt wird. Diese Suche breche ich erst ab, als in Küsnacht ein Bekannter von mir einsteigt, dem ich von der Erfolglosigkeit meines Tastens, Herausnehmens und Betrachtens erzähle, und vor allem davon, daß es das Billett ist, das ich suche, und nun scheint mir, der unbeweglichen Frau falle ihre Unbeweglichkeit wieder leichter. Der Bekannte besitzt ein Generalabonnement und erzählt mir, wie er es kürzlich verloren und später von einem Taucher, der es in der Limmat gefunden habe, wiederbekommen habe, und wie sich viele Taucher ihren Tauchsport dadurch finanzierten, daß sie in der Limmat nach verlorenen Dingen tauchten, oder nach im Überschwang weggeworfenen, wie z. B. Zinngeschirr entlang den Zunfthäusern, am Tag nach dem Sechseläuten.

Warum soll ich mir, denke ich am Bahnhof Stadelhofen, wo ich den Zug, ohne daß ich einer Billettkontrolle unterlaufen wäre, verlasse, warum soll ich mir für die Tramfahrt keine Zeitung kaufen? Ich kaufe mir keine Zeitung, halte mein Tramabonnement in den automatischen Billettentwerter, der ihm ein Eckchen abhaut und gleichzeitig die nötigen Angaben über Datum und Ausgangspunkt der Fahrt draufstempelt, steige ins Tram und schaue zum Fenster hinaus, lese auch die Aufschriften an den Häusern, vergesse sie aber sofort wieder, außer zwei Hausnummern, 293 und 295.

Ich steige aus und gehe in die Yogastunde, die mir eine Lehrerin erteilt, nehme seltsame Stellungen ein und versuche mich dabei so zu konzentrieren, daß ich nicht mehr daran denke, daß ich seltsame Stellungen einnehme.

Auf der Rückfahrt im Tram steht ein fremdsprachiger Mann bei einer Haltestelle lange auf dem Trittbrett, das sich sonst automatisch nach oben klappend schlösse, und ruft seiner Frau in der fremden Sprache Anweisungen zu, wie sie den Billettautomaten behandeln müsse, da sagt ein alter Mann mit einem Mützchen sehr laut: »So chumm, schtig ändlech y!« und ein anderer, auch alter: »Chumm, chumm!«, aber die Frau wirft immer noch kleine Münzen ein, und der Mann getraut sich nicht mehr, länger auf dem Trittbrett seines Gastlandes zu stehen, und im Abfahren sieht man noch, wie sich seine fremdsprachi