: Ulrike Schweikert
: Die Hexe und die Heilige Historischer Roman
: Edel Elements - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
: 9783962150136
: 1
: CHF 4.80
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: Historische Romane und Erzählungen
: German
: 480
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Deutschland am Vorabend des 30-jährigen Krieges: Als die Zwillinge Sibylla und Helena im Alter von fünf Jahren den Tod des Vaters vorhersehen, werden die Schwestern, die nur Unglück zu bringen scheinen, getrennt. Während die tugendhafte Helena in einem Kloster aufwächst, wird ihre eigenwillige Schwester Sibylla zur Hebamme ausgebildet. Als Vertraute des Vogts lernt sie die dunklen Geheimnisse der Mächtigen kennen. Doch dieses Wissen ist gefährlich, und bald rüsten die Häscher der Inquisition zur Hexenjagd ...

Ulrike Schweikert (* 1966 in Schwäbisch Hall) ist eine deutsche Schriftstellerin der Historien- und Fantasyliteratur, die auch unter dem Pseudonym Rike Speemann schreibt. Schweikert ging in Schwäbisch Hall zur Schule und absolvierte in Stuttgart eine Banklehre. Nach sechs Jahren als Wertpapierhändlerin studierte sie Geologie und später Journalismus. Daneben beschäftigte sie sich mit der Geschichte ihrer Heimatstadt. Diese Recherchen bilden die Grundlage zu ihrem ersten Roman 'Die Tochter des Salzsieders', der im Jahr 2000 erschien. Heute lebt die Autorin in der Nähe von Pforzheim. Für 'Das Jahr der Verschwörer' erhielt sie 2004 von der 'Autorengruppe deutschsprachige Kriminalliteratur - Das Syndikat' den Hansjörg-Martin-Preis.

KAPITEL 2


Ruhe kehrte in die Fürstpropstei ein, und die Menschen atmeten auf. Es kam der Frühling und dann der Sommer. Das Wetter wurde freundlicher, und die nächste Ernte fiel reichhaltiger aus. Der Scharfrichter Hans Vollmair zog nach Biberach zurück. Es gab keine Unholde mehr, die es aus ihren Verstecken zu zerren galt, keine peinlichen Befragungen, keine flackernden Scheiterhaufen. Die lange Liste der Besagten samt der Auflistung ihrer Vermögenswerte schlummerte unter einem Stapel Akten und Briefe in einem Sekretär der Kanzlei. Das Originalpergament des Stadtschreibers schien vergessen, doch die heimlich erstellte Kopie dieser Liste wurde in einer Schlafkammer in der Herrengasse sorgfältig gehütet.

Die Jahre zogen durch das Land. In diesen hellen, sonnigen Tagen wuchsen die Zwillinge des Sternenwirts heran. Sibylla immer vorneweg. Pausbäckig, mit den wissbegierigen grauen Augen der Mutter und dem widerspenstigen, rötlich blonden Haar des Vaters, erforschte sie auf ihren speckigen Beinchen die Welt. Helena folgte ihr wie ein Schatten. Die beiden Mädchen glichen sich bis auf das Haar, und doch schien bei Sibylla alles ein wenig kräftiger, ein wenig farbiger und lebendiger zu sein.

Die anderen Kinder gewöhnten sich schnell daran, dass sie mit Sibylla verhandeln mussten, wenn es beispielsweise darum ging, Naschwerk aus der Wirtshausküche zu stibitzen, oder wenn sie die bunten Murmeln ausleihen wollten, die Vater Schenckh aus Wasseralfingen mitgebracht hatte. Helena sprach nur wenig und wenn, dann nur mit Sibylla. Die Erstgeborene entschied, die Zweitgeborene nickte zustimmend.

Wenn es darum ging, einen Streich auszuhecken, dann war Sibylla bei den Spielkameraden, den Kindern der Wirte und Bäcker am Kirchenplatz, gern gesehen. Sie war beispielsweise mutiger als Georgius vom Schwarzen Bären, und der war immerhin drei Jahre älter und auch forscher als des Hofbecken Sohn Vitus. Sibylla hatte sich sogar getraut, dem Bettelvogt das Glöckchen von seinem Stab zu stibitzen. Nur so zum Spaß. Später hatte sie es ihm, genauso unbemerkt, wieder zurückgebracht. Und dennoch, oder vielleicht gerade deswegen, mieden manche Kinder die Sternenwirtszwillinge.

»Etwas an ihnen ist unheimlich«, sagte Johannes, der Sohn des Mang- und Färbemeisters, immer wieder. Natürlich nie, wenn Sibylla es hätte hören können. Sie laut auf der Gasse zu beschimpfen wäre ihm nicht in den Sinn gekommen. Das traute er sich nur bei des Mangenbecks Töchtern. Schließlich waren die Kinder einer Unholdin. Auch wenn der Bäcker kurz darauf die Patin seiner jüngsten Tochter geheiratet hatte, ihre richtige Mutter, Apollonia Hasel, war oben auf dem Galgenberg als Hexe verbrannt worden. Das war schon Jahre her, doch noch immer deutete man mit dem Finger auf die Unholdskinder und rief ihnen bösen Spott hinterher.

»Wer kann schon sagen, was sie den Töchtern von ihrer Kunst so alles beigebracht hat, bevor sie auf den Scheiterhaufen kam?«, pflegte Johann