Prolog, in dem Nathalie zurückblickt und zweifelt
»Morgen ist auch noch ein Tag«, murmelte Nathalie Ames, während sie gegen einen Stapel Ziegelsteine gelehnt dastand und die Baustelle betrachtete, die in wenigen Monaten als Erweiterung ihres Pubs, Cafés und Hotels Black Feather fertiggestellt werden sollte. Auf der Baustelle lief alles nach Plan, ganz anders als in ihrem Privatleben. Da half die Erkenntnis, dass morgen auch noch ein Tag war, so gar nicht weiter.
»Morgen ist auch noch ein Tag«, hatte die Buchhändlerin und Nathalies gute Freundin Paige Rittinghouse am vergangenen Abend gesagt, als sie alle … nun ja, fast alle beisammengesessen hatten, um sich von Constable Ronald Strutner berichten zu lassen, was es mit diesen drei Toten auf sich gehabt hatte, die man stümperhaft auf einem Friedhof hatte verschwinden lassen.
Fast alle, denn Nathalies Freund Fred Estaire hatte gefehlt.
Weil er nicht länger ihr Freund war.
Und weil er sich nicht mehr in Earlsraven aufhielt.
In der letzten Nacht hatte Nathalie auf dem Sofa geschlafen, da sie nicht allein in dem Bett hatte schlafen wollen, das sie so lange Zeit mit Fred geteilt hatte. Ihrem Fred. Der jetzt fort war. Und der nicht wiederkommen würde.
»Wenn du auf die Bauarbeiter wartest«, hörte sie eine Stimme hinter sich, »dann hast du noch drei Tage und drei Nächte vor dir, in denen du dir die Beine in den Bauch stehst. Die Männer machen erst am Montag weiter.«
Nathalie schaute über die Schulter und sah, wie ihre beste Freundin Louise Cartham zu ihr kam, die als Chefköchin im Black Feather arbeitete. Sie lächelte sie schwach an. »Ich versäume ja nichts.«
»Nur dein Leben«, erwiderte Louise. »Das geht nämlich weiter und wartet nicht auf dich.«
»Paige meinte aber, morgen ist auch noch ein Tag«, hielt Nathalie dagegen.
»Stimmt schon«, räumte ihre Freundin ein. »Doch wenn du auf morgen wartest, um zu leben, dann ist heute ein verlorener Tag.«
Nathalie seufzte schwer. »Was habe ich bloß getan, Louise?«, fragte sie leise.
»Das, was du tun musstest«, antwortete ihre Freundin nach kurzem Schweigen. »Das, was du immer tust.«
»Und das wäre? Mein Leben gegen die Wand fahren?«
»Unsinn, meine Liebe.« Louise legte den Arm um ihre Schultern. »Du hast deinen Kopf entscheiden lassen, weil der weiß, was für dich gut ist.«
»Dann ist mein Kopf schuld, dass mein Herz gebrochen ist?«
Die Köchin schüttelte den Kopf. »Du weißt, wer daran schuld ist. Dein Kopf ganz sicher nicht.«
Nathalie seufzte und musste schließlich zustimmend nicken. »Du hast natürlich recht, ich habe mir nichts vorzuwerfen. Außer vielleicht, dass ich zu lange damit gewartet habe, Fred zur Rede zu stellen.«
»Nicht mal das, Nathalie«, versicherte ihr Louise. »Es gab nie einen Grund dafür, weil er sich die ganze Zeit über nicht hat anmerken lassen, was in Wahrheit hinter seiner Suche nach dieser Frau steckt. Ich meine, er hat ja sogar mich angesprochen, ob ich ihm dabei behilflich sein könnte. Da hatte ich nicht den Eindruck, dass mehr im Spiel ist als nur Sorge um das Wohl eines anderen Menschen. Wenn er mich im Vertrauen gefragt hätte, also heimlich, hinter deinem Rücken, wäre das eine ganz andere Sache gewesen. Doch er hatte ja mehr oder weniger uns alle in diese Suche einbezogen.«
Nathalie zuckte mit den Schultern. »Er hat aber damit keinem von uns etwas vorgemacht«, verteidigte Nathalie ihren Ex-Freund zu ihrem eigenen Erstaunen. »Ich glaube, ihm war selbst nicht klar, was diese Frau ihm noch bedeutet.«
»Kann gut sein«, stimmte Louise ihr zu. »Ihr …«, begann sie und brach gleich wieder ab, da ihr Smartphone klingelte. Sie zog es aus der Innentasche ihrer dicken Jacke, die sie vor dem kalten Wind schützte, der an diesem Februarmorgen über das Land fegte. Ein Blick aufs Display, dann stutzte sie. »Du hast dein Handy nicht dabei?«, vergewisserte sie sich bei Nathalie.
»Liegt auf dem Sc