: Frank Goldammer
: Verlorene Engel Kriminalroman
: dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
: 9783423438346
: Max Heller
: 1
: CHF 11.60
:
: Spannung
: German
: 400
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Wie ein Schatten in der Nacht An dunklen Herbstabenden 1956 werden in Dresden wiederholt Frauen brutal vergewaltigt. Als auch noch eine tote Frau an der Elbe gefunden wird, werden in der verunsicherten Bevölkerung die Rufe nach Selbstjustiz laut. Kommissar Max Heller und sein Team ermitteln unter Hochdruck. Mithilfe eines weiblichen Lockvogels gelingt es ihnen, einen Verdächtigen festzunehmen. Der von Narben entstellte Mann gesteht zwar die Vergewaltigungen, leugnet aber den Mord. Sind vielleicht doch die von allen gefürchteten, desertierten russischen Soldaten die Täter? Die Lage eskaliert, als Hellers Familie in den Fall hineingezogen wird.

Frank Goldammer, Jahrgang 1975, ist gelernter Handwerksmeister und begann schon früh mit dem Schreiben. Die Bände seiner historischen Kriminalromanreihe über den Dresdner Kommissar Max Heller landen regelmäßig auf den Bestsellerlisten. Goldammer lebt mittlerweile als freier Autor in seiner Heimatstadt Dresden.

Dresden, 26. Oktober 1956,
Abend


Karin öffnete ihren Mantel und warf noch einen kurzen, beinahe fragenden Blick auf Anni, die zwischen ihr und Heller stand. Das Mädchen schwieg und sah zu Boden. Dann hob Karin die Hand und klopfte an die Tür.

»Kommen Sie nur herein!«, rief es von drinnen.

Karin öffnete die Tür und schob Anni, die leichten Widerstand zu leisten schien, vor sich her in das Vorbereitungszimmer. Heller folgte den beiden. Frau Spittel, Annis Klassenlehrerin, hatte sich schon erhoben.

»Möchten Sie ablegen?«, fragte sie und reichte Karin und Max Heller die Hand.

»Willst du nicht Guten Tag sagen?«, ermahnte Karin das Mädchen streng.

»Wir haben uns doch heute schon gesehen«, beschwichtigte die Lehrerin und lächelte Anni an. Sie war eine freundliche junge Frau. Hellers kannten sie seit fast vier Jahren.

Karin ließ das unkommentiert. Heller half ihr aus dem Mantel und war froh, selbst auch seinen Mantel ablegen zu können. Es war unerträglich warm im Schulgebäude. Frau Spittel wies sie an, am Tisch Platz zu nehmen.

Anni hatte ihren Mantel angelassen, vielleicht in der vagen Hoffnung, die Sache so ein wenig beschleunigen zu können. Heller hoffte dagegen, Karin würde ihn noch einmal ansehen. Er hätte ihr gern zu verstehen gegeben, dass sie die Sache nicht so verbissen sehen sollten. Wenigstens mit einem Blick, einem Zwinkern.

»Es freut mich sehr, dass Sie beide Zeit gefunden haben, dieses Gespräch wahrzunehmen«, begann Frau Spittel. Heller sah ihr an, dass sie sich große Mühe gab. Bestimmt war es für eine junge Frau nicht immer leicht, den oft älteren Eltern ihre Anliegen zu vermitteln. In diesem Falle waren sie ja sogar noch älter als der Durchschnitt.

»Ich hoffe, Sie haben sich nicht allzu große Sorgen gemacht. Anni hat nichts ausgefressen. Sie ist sogar ganz lieb. Mir ist nur in letzter Zeit aufgefallen, dass sie sehr viel ruhiger ist als bisher. Und ihre Zensuren lassen ein wenig nach. Das ist nicht schlimm, aber doch auffällig. Sie verdirbt sich die guten Noten oft mit Schusselfehlern. Stimmt’s? Du bist eine Schusselliese in letzter Zeit.« Frau Spittel stupste Anni an, die daraufhin sogar ihren Mund zu einem Lächeln verzog.

»Seit Beginn des neuen Schuljahres kommt es in der Klasse immer mal zu Reibereien, an denen auch Anni beteiligt ist. So wie alle anderen Kinder auch. Das ist ganz normal, die Kinder werden eben älter und entdecken ihre Persönlichkeit. Einmal kam ich jedoch dazu, als sie als Schlüsselkind gehänselt wurde. Hat sie vielleicht daheim darüber gesprochen?«

»Nein!« Karin griff sacht nach Annis Handgelenk. Anni sah sie kurz an und zuckte dann mit den Achseln.

Sie war auch zu Hause stiller geworden, überlegte Heller. Nicht auffallend, doch wenn er jetzt darüber nachdachte, war es nicht von der Hand zu weisen.

Frau Spittel nahm einen Zettel und legte ihn Karin vor. »Ich denke, Anni müsste den Mut haben und uns erzählen, wenn ihr etwas auf dem Herzen liegt. Doch sie verschließt sich, sobald ich oder eine meiner Kolleginnen sie fragen. Das hier sind ihre Zensuren«, sagte sie und deutete auf den Zettel, »Sie müssten sie kennen, aber ich habe sie Ihnen noch einmal aufgeschrieben. Wie gesagt, es sind ja keine schlechten Noten, alles Zweien, aber schade ist es doch. Sie gehörte