: Cay Rademacher
: Der Fälscher Kriminalroman
: DuMont Buchverlag
: 9783832187583
: Inspektor-Stave-Reihe
: 1
: CHF 7.20
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: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 368
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Kommissar Staves dritter Fall Hamburg: Bei einem Routineeinsatz wird Oberinspektor Frank Stave niedergeschossen. Er kommt davon, aber wechselt von der Mordkommission zum Chefamt S, das den Schwarzmarkt bekämpft. Dort wird Stave gleich mit einem rätselhaften Fall konfrontiert: Trümmerfrauen haben in den Ruinen eines Kontorhauses Kunstwerke aus der Weimarer Zeit gefunden - gleich neben einer Leiche, deren Identität der Kollege von der Mordkommission offenbar gar nicht aufklären will. Kurz darauf vertraut ihm Lieutenant MacDonald ein weiteres Problem an: Auf dem Schwarzmarkt sind rätselhafte Geldscheine aufgetaucht, deren Existenz die geheimen Pläne der Alliierten stört. Der Oberinspektor entdeckt bald seltsame Parallelen zwischen den beiden Fällen. Als der Tag X gekommen ist - die Einführung einer neuen Währung, über die schon seit Wochen in der Stadt gemunkelt wird -, scheint Stave kurz vor der Lösung zu stehen. Doch die Wahrheit ist gefährlich, und nicht nur für ihn allein ...

CAY RADEMACHER, geboren 1965, ist freier Journalist und Autor. Seine Provence-Serie umfasst neun Fälle, zuletzt erschien>Geheimnisvolle Garrigue< (2022). Bei DuMont veröffentlichte er auch seine Romane aus dem Hamburg der Nachkriegszeit:>Der Trümmermörder< (2011),>Der Schieber< (2012) und>Der Fälscher< (2013). Außerdem erschienen die Kriminalromane>Ein letzter Sommer in Méjean< (2019) und>Stille Nacht in der Provence< (2020). Cay Rademacher lebt mit seiner Familie bei Salon-de-Provence in

Verwundung

Mittwoch, 31. März 1948

Die Pistolenkugel ist schneller als der Schall. Sie trifft Oberinspektor Frank Stave in die Brust, noch bevor er den Knall hört. Ein Schlag unterhalb des Herzens, der ihn rückwärts in die Trümmer einer eingestürzten Ziegelwand schleudert. Kein Schmerz, denkt er, ich spüre keinen Schmerz. Das erschreckt ihn mehr als das Blut, das aus der Wundeüber den Bauch strömt, heiß und klebrig. Flach atmen. Der Geschmack von Eisen im Mund. Rauschen in den Ohren. Stave presst die Rechte auf die Einschussstelle. Er liegt auf dem Rücken, starrt nach oben durch einen zerfetzten Dachstuhl in den niedrigen, grauen Himmel. Staubfahnen tanzen in der Luft. Es stinkt nach altem Mörtel und Schimmel. Er wünscht sich, dass der Schmerz ihn endlichüberflutet. Doch statt der Qual kommt die Dunkelheit, sein Geist taucht immer tiefer ein in schwarzes Wasser. Bitte, Schmerz, komm endlich. Wenn ich keinen Schmerz spüre, werde ich sterben, denkt Stave, bevor er gar nichts mehr denkt.

Als er wieder aufwacht, ist der Schmerz endlich da: ein Band aus Feuer, das um seine Brust lodert, und eine Messerklinge, die bei jedem Atemzug in seinen Leib fährt. Der Oberinspektor lächelt erleichtert. Weiße Wände, grelles Licht, das sich bis in seinen Hinterkopf frisst, der Geruch nach Lysol. Krankenhaus. Diesmal wehrt er sich nicht, lässt sich fallen. Schlaf.

Mühselige Atemzüge wecken ihn, als schnappe jemand nach Luft, der bis zum Hals in feinem Sand eingegraben ist. Staveöffnet die Augen. Er lauscht dem Röcheln, irgendwo links von ihm. Seine Brust brennt. Vorsichtig betastet er sie: Bandagen, dick wie eine Bettdecke. Er richtet seinen Oberkörper auf. Tausend Nadeln spicken seinen Leib, ihn schwindelt, mühsam unterdrückt er einen Schmerzensschrei, bloß ein schwerer Seufzer quillt ihm aus dem Mund. Die Atemzüge nebenan stocken für einen Moment, setzen wieder ein, mühevoll. Ein Strahl Helligkeit von rechts: Licht, das durch einen Türspalt dringt. Der Flur, vermutet Stave, hinter einer Tür. Ein Krankenhauszimmer. Er macht links die Umrisse eines Paravents aus, der den Schlaf seines gequälten Nachbarn beschirmt.

Stave weiß nicht, in welchem Krankenhaus er liegt. Er weiß nicht, wie viel Zeit verstrichen ist seit jenem Schuss. Die Beamten der Mordkommission hatten einen Mann gesucht, der vor ihrer Wohnung in St. Pauli seine Ehefrau erstochen hatte. Ein Maat auf dem Schlachtschiff»Tirpitz«, das 1944 in einem norwegischen Fjord versenkt worden war. Der Unteroffizierüberlebte das Unglück, geriet 1945 in Skandinavien in Gefangenschaft, wurde bald wieder freigelassen, kehrte zurück zur Familie in eines der wenigen noch unzerstörten Häuser in St. Pauli– alles in allem jemand, der glimpflich durch den Krieg gekommen war.

Kein offensichtliches Motiv für seine Tat, doch genügend Zeugen, die gesehen hatten, wie er vor der Haustür auf seine Frau eingestochen hatte. Flucht, Fahndung. Ein Anruf am Abend. Jemand hatte den Gesuchten an der Haltestelle Baumwall aus der Straßenbahn der Linie 31 steigen sehen, nur ein paar hundert Meter vom Tatort entfernt.

Stave war mit allen erreichbaren Schupos dahin geeilt. Der ehemalige Maat stand tatsächlich noch an der Haltestelle, ziel- und ratlos vielleicht, was er nun tun solle. Er sah jünger aus, als der Oberinspektor gedacht hatte. Erst als er die Peterwagen bemerkte, lief er los und versteckte sich in einem von Bomben zerschmetterten Geschäft für Schiffsausrüstung. Der Oberinspektor ließ die Ruine umstellen und schlich sich vorsichtig in die brandgeschwärzten Räume. Nicht vorsichtig genug. Er hatte einen mit einem Messer bewaffneten Täter erwartet– nicht einen mit einer Schusswaffe.

Er fragt sich, ob der Mörder noch mehr Kollegen getroffen hat. Ob er entkommen ist? Oder von den Polizistenüberwältigt wurde? Vielleicht mussten sie ihn niederschießen? Er hofft, dass sie ihn ohne weiteres Blutvergießen verhaftet haben– obwohl das Resultat letztlich dasselbe sein wird: Ein englischer Richter wird den Mörder unters Fallbeil schicken. Möglich sogar, dass sein Freund Staatsanwalt Ehrlich das Plädoyer für die Todesstrafe hält. Stave würde als Zeuge vor Gericht auftreten müssen, seine Aussage würde einen Stein für das Fundament liefern, auf dem Staatsanwalt und Richter ihr Todesurteil errichten würden. Er schließt die Augen und hofft, wieder einzuschlafen.

Doch er ist nun unbezwingbar wach, und so bleibt ihm nichts anderesübrig, als stundenlang in die Dunkelheit zu starren, gelegentlich seine bandagierte Wunde zu betasten und auf die Atemzüge hinter dem Paravent zu lauschen, die schwächer zu werden scheinen, je länger die Nacht voranschreitet.

Im grauen Morgenlicht wird die Tür geöffnet. Eine junge Krankenschwester tritt ein, ihr hübsches Gesicht schmal unter der hohen, gestärkten Haube.»Stukas« nannten die Wehrmachtssoldaten die Krankenschwestern, weil die Flügel der Haube geknickt sind wie die Tragflächen des Kampfbombers, das hat Stave von seinem Sohn Karl erfahren. Auf einem Schild an der Brust steht ihr Vorname: Franziska. Einen Moment lang wünscht er sich, die junge Frau mit einem Scherz begrüßen zu können, doch ihm will nichts einfallen.»Wo bin ich?«, fragt er stattdessen. Er erschricktüber den matten Klang seiner Stimme.

Sie schenkt ihm bloß ein flüchtiges Lächeln.»Einen Augenblick, bitte«, dann verschwindet sie hinter dem Paravent. Erst jetzt fällt dem Oberinspektor auf, dass er schon lange keine Atemzüge mehr gehört hat. Die Schwester eilt wieder aus dem Zimmer, kommt mit einer zweiten zurück, dann fliegt ein Arzt an Staves Krankenbett vorbei, ohne ihm einen Blick zuzuwerfen. Geflüsterte Worte hinter dem Stoff, surreal wie in einem jener modernen Theaterstücke, die man in der braunen Zeit nicht spielen durfte.

Irgendwann wird ein Bett aus dem Raum gerollt. Der Kripo-Beamte erspart sich den Schmerz, de