1. KAPITEL
Hätte jemand Kree O’Sullivan aufgefordert zu beschreiben, wie nach ihren Vorstellungen der „perfekte Mann“ aussehen müsste, sie hätte ihn so beschrieben wie diesen Fremden, den sie gerade in ihrem Hinterhof erblickte. Sie schloss für einen Moment die Augen und spähte dann noch einmal vorsichtig durch die Vorhänge des Fensters im Lagerraum. Er war noch immer da. Weder Traum noch Trugbild – da stand er tatsächlich in beeindruckender Lebensgröße.
Die Frage war: Was hatte dieser Mann in dem kleinen Hof hinter ihrem Frisiersalon zu suchen? Er passte ganz und gar nicht hierher zwischen die verwilderten Rhododendren und auf den nicht besonders gepflegten Rasen, der dringend mal wieder gemäht werden müsste. Obwohl es an diesem Abend ungewöhnlich warm war, trug der Fremde einen dunklen Anzug und eine korrekt gebundene Krawatte.
Was konnte er wollen? Kam er von der Bank?
Für einen Moment erschrak Kree. Aber sie schob den Gedanken schnell wieder beiseite. Bankleute machten ihre Kundenbesuche nicht freitagabends nach sechs Uhr, wenigstens nicht bei Kunden, die ihren Überziehungskredit überstrapaziert hatten. In solchen Fällen pflegte die Bank anzurufen und einen freundlich zu einem Termin zu bestellen. Und solch einen Termin hatte Kree schon – am Montagvormittag.
Und selbst wenn die Bank jemanden schickte, würde er nicht so aussehen wie dieser Unbekannte in ihrem Garten. Kree beobachtete ihn. Aufmerksam studierte er die Rückseite des Hauses. Sein Blick ging hinauf zum Wohngeschoss, das über Krees Frisiersalon lag. Als würde er das Haus taxieren. Er hatte die Hände in die schmalen Hüften gestemmt und drehte Kree jetzt langsam seine blütenweiße Hemdbrust zu – eine sehr breite Brust.
„Nein, du bist kein Banker“, sagte Kree leise. Sie kniff die Augen ein wenig zusammen und betrachtete den Fremdling eingehender. Sie merkte, dass ihr Puls sich dabei beschleunigte. Dunkler Anzug, dunkles Haar, dunkler Blick. Er erinnerte sie an die smarten Rechtsanwälte, die in manchen Fernsehfilmen vorkamen. Er könnte auch einer von diesen stinkreichen Managertypen sein. Aber solche Typen verirrten sich selten in die kleine australische Stadt Plenty. Selten tauchte mal einer in seinem deutschen oder englischen Sportwagen auf, wenn er sich auf dem Weg in die Weinberge verfahren hatte. Dieser Besucher wirkte nicht wie jemand, der eine falsche Abzweigung genommen hatte. Er sah aus wie jemand, der zu jeder Stunde und Gelegenheit wusste, was er tat.
„Dann wollen wir doch mal sehen, was unseren schönen Unbekannten hierher geführt hat“, murmelte Kree vor sich hin. Bevor ihre Fantasien von bedrohlichen Besuchen diensteifriger Bankbeamter oder abendlichen Zwangsräumungen überhandnehmen konnten, entschloss sie sich lieber, hinauszugehen und den Besucher zu fragen.
Die Hintertür quietschte in den Angeln, und der ihr zugekehrte Rücken der fremden Gestalt straffte sich. Langsam drehte er sich zu ihr um, und als ihre Blicke sich trafen, nahm es Kree fast den Atem. Sie schaute in ein markantes Gesicht – hohe Wangenknochen, ein energisches Kinn, dunkle Augen. Wie vom Blitz getroffen stand sie da und war sich sicher, dass er ihren hämmernden Herzschlag nicht überhören konnte. Sie zuckte zusammen, als sie in der Stille hinter sich die Tür zuklappen hörte.
Der Fremde sah sie forschend an. „Kann ich Ihnen helfen?“, fragte er.
Die Frage hätte sie stellen sollen.
War das ein britischer Akzent, de