Willow Springs. Jedermann kennt sie, aber niemand spricht über die Legende von Sapphira Wade. Eine wahre Hexenmeisterin: satinschwarz, sahnig braun, rot wie Georgialehm: je nachdem, wer von uns an sie denkt. Sie konnte durch ein Gewitter laufen, ohne getroffen zu werden; einen Blitzstrahl in ihrer Hand auffangen; die Hitze von Blitzen dazu benutzen, das Reisig unter ihrem Medizinkessel zu entzünden; je nachdem, wer von uns an sie denkt. Sie verwandelte den Mond in Heilsalbe, die Sterne in Mullbinden und heilte die Wunden aller Lebewesen, ob sie aufrecht auf zwei Beinen gingen oder auf allen vieren krochen. Es geht nicht um richtig oder falsch, um Wahrheit oder Lüge; es geht um eine Sklavin und Frau, die diesen beiden Worten hier diesseits der Brücke eine ganz neue Bedeutung gegeben hat. Und irgendwie, auf irgendeine Weise, war 1823 das geschehen: Sie erstickte Bascombe Wade in seinem eigenen Bett, kam ungestraft davon und lebte noch tausend Tage, um die Geschichte zu erzählen. 1823: Sie heiratete Bascombe Wade, gebar ihm sieben Söhne in nur tausend Tagen, bohrte ihm einen Dolch durch die Niere und entkam dem Henkersstrick und lachte wie eine Feuersbrunst. 1823: Sie überredete Bascombe Wade in tausend Tagen, jeden Zentimeter Land auf Willow Springs seinen Sklaven zu übertragen, vergiftete ihn zum Dank dafür und gebar daraufhin sieben Söhne – Vater oder Väter unbekannt. Wenn man das alles zusammenmixt und sich unterm Strich an das hält, was als Tatsachen durch die Maschen der Zeit gefallen ist, hat man am Ende den Tod von Bascombe Wade (sein Grabstein steht draußen am Chevy’s Pass), die Übertragungsurkunden für unser Land (alle datiert auf ebenjenes Jahr) und sieben Söhne (sind nicht Miss Abigail und Mama Day die Enkelinnen dieses siebten Sohnes?). Der ungeklärte Faktor bei dem Ganzen sind die tausend Tage, und wir meinen, es würde uns dazu was einfallen, wenn wir die Köpfe zusammensteckten – was aber nicht möglich ist, weil Sapphira Wade nicht in den Regionen unserer Erinnerungen lebt, die wir zum Bilden von Wörtern benutzen können.
Aber es gibt keine Menschenseele in Willow Springs, die nicht wüsste, dass kleine dunkle Mädchen, das Haar mit bunten Schnüren zu Zöpfchen geflochten, »kurz vor ihrem 18 & 23 stehen«, wenn sie sich zu lange über die Gartenzäune lehnen und dabei über die Mätzchen kleiner dunkler Jungen lachen, die den Nerv haben, von »18 & 23« zu flüstern, wo sie doch noch Muttermilch auf der Zunge schmecken. Und wenn sie sich nur ein winziges bisschen zu lange hinüberlehnt oder ein bisschen zu breit grinst, brüllt es durch die verstaubte Tür mit dem Fliegengitter: »Schaff deinen o-beinigen Untersatz von meinem Zaun weg, Johnny Blue. Kommt mir kein verfrühtes ›18 & 23er‹ in die Wiege. Zieh sie ja erst noch auf.« Ja, der Name Sapphira Wade wird nie und von keinem einzigen Mund in Willow Springs auch nur gehaucht. Aber wer wüsste nicht, dass der alte falschzüngige Manager vom Sheraton-Hotel jenseits der Brücke, als er Winky Browne nur zwölf Dollar für seine ganze Bootsladung Langusten anbot – »versucht hat, ihn zu 18 & 23en«, was noch das Beste ist, was man ihm unterstellen kann? Wir sitzen hier alle nur einen Katzensprung und ein Weihnachten noch vom Jahr 2000 entfernt, und hat ihm denn noch niemand gesagt, dass Nigger jetzt lesen können? Als würde nicht auf den Speisekarten in seinem Restaurant stehen, dass eine Handvoll Krabben auf einem Schüsselchen mit zerstoßenem Eis beinahe zwölf Dollar kostet. Soll er es Garnelencocktail nennen oder was auch immer – wir können auch rechnen. Und der Preis von allem, was im Sund schwimmt, kriecht oder auf dem Meeresboden liegt, ist 1985 nach oben gegangen, in dem Jahr, als wir den »18-&-23-Sommer« hatten und die B