: Anne Labus
: Amelies Weihnachtswunder
: Aufbau Verlag
: 9783841233882
: 1
: CHF 7.20
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 225
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB

Amelies Welt ist die Musik und für eine kurze, glückliche Zeit träumt sie davon, diese Leidenschaft und die Liebe in Einklang zu bringen. Doch dann geht alles schief und enttäuscht verlässt Amelie Monschau und nimmt einen Aushilfsjob im alteingesessenen Musikgeschäft von Sabine und Ernst Schmitz in der Bonner Altstadt an. Schon bald fühl sich Amelie in der Stadt, ihrer gemütlichen Mansardenwohnung und in ihrem neuen Job sehr wohl. Ihr Leben ist fast wieder perfekt - wäre da nicht die Sehnsucht nach Nähe und Geborgenheit und ihre panische Angst vor einer erneuten Enttäuschung. Doch dann begegnet sie in der Vorweihnachtszeit einem Menschen, der ihr Herz zum Singen bringt. Wird es Amelies ganz persönliches Weihnachtswunder oder wird sie erneut enttäuscht?



Anne Labus, Jahrgang 1957, lebt mit ihrem Mann, dem Schriftsteller Udo Weinbörner, in der Nähe von Bonn. Nach ihrer Ausbildung zur Bankkauffrau arbeitete sie unter anderem als selbständige Fitness- und Pilatestrainerin. Die Leidenschaft für das Reisen hat sie an ihren Sohn vererbt, der auf Hawaii seinen Lebensmittelpunkt gefunden hat. Die Autorin entspannt sich beim Kochen, liebt Bergtouren und lange Strandspaziergänge. Inspirationen für ihre Romane findet sie in Irland und Italien oder auch auf Spiekeroog.

Kapitel 1


Amelie hatte keinen Blick für den rosa Blütenhimmel, der die Bonner Altstadt überspannte. Selbst die Auslagen der Modeläden und Buchhandlungen in der Breiten Straße lockten sie heute nicht. Wehmütig schaute sie einem Liebespaar hinterher, das eng umschlungen durch die romantischen Gassen schlenderte.

Genau so war Paul noch vor wenigen Wochen mit ihr durch Monschau spaziert. Er hatte ihr versichert, wie glücklich er mit ihr sei, dabei traf er sich längst heimlich mit einer anderen.

Aus und vorbei! Das Thema Männer war für sie endgültig gestorben. Nie wieder würde sie zulassen, dass ein Mann sie so tief verletzte.

Ihr Termin saß ihr im Nacken, trieb sie zur Eile. »Wie weit ist es von hier bis zum Musikhaus Schmitz?«, fragte sie die Bedienung im Café Camus und schielte auf die Armbanduhr. »Ich bin dort in zehn Minuten verabredet.«

»Das schaffen Sie locker.« Die junge Frau legte den Lappen aus der Hand, mit dem sie die chromblitzende Kaffeemaschine polierte, und deutete aus dem Schaufenster. »Sehen Sie das schmale, hohe Eckhaus am Ende der Straße? Das ist es.«

»Wie konnte ich das nur übersehen?«, wunderte sich Amelie. »Der Name über dem Eingang ist doch selbst aus dieser Entfernung zu lesen.« Sie bestellte einen Espresso, trank ihn hastig im Stehen und verbrannte sich prompt die Zunge. »Auch das noch!«, fluchte sie. Dankbar nahm sie ein Glas Wasser entgegen, das die nette Bedienung ihr reichte. Sie leerte es in einem Zug, legte einen Fünfeuroschein auf den Tresen und nickte der jungen Frau zu. »Stimmt so. Beim nächsten Mal bringe ich mehr Zeit mit.«

Im Laufschritt verließ sie das Bistro, bahnte sich einen Weg durch den Strom der Passanten und hastete Richtung Musikhaus. Kurz vor dem Geschäft verlangsamte sie ihren Schritt und bummelte wie zufällig am Eingang vorbei. Erst nachdem sich ihr Puls normalisiert hatte, riskierte sie einen vorsichtigen Blick in das Geschäft. Den Mittelpunkt bildete ein schwarzer Konzertflügel, auf dem eine kleine Beethovenbüste stand. Auf einem niedrigen Podest davor lagen Flöten, Mundharmoniken und Triangeln.

Amelie rückte näher an die Scheibe, um in den hinteren Teil des Ladens zu schauen. Der Anblick, der sich ihr dort bot, ließ ihr Herz schneller schlagen. Unter der stuckverzierten Decke schwebten zahlreiche Gitarren und Geigen. In einem Regal hinter dem Verkaufstresen stapelten sich Notenblätter und Gitarrensaiten. Das war ihre Welt! Hier war sie richtig! Amelie hoffte inständig, dass sie den Job bekommen würde.

Sie straffte ihren von der Zugfahrt verspannten Rücken, ordnete die Ponyfransen ihres Bobs und öffnete entschlossen die Ladentür.

Aus einem Hinterzimmer schlurfte ein stämmiger Mann mit langem grauem Zopf auf sie zu. »Sie sind zu früh«, knurrte er. »Bibi ist noch beim Friseur.« Mit dem Kopf deutete er hinter die Theke. »Halten Sie hier die Stellung. Ich habe zu tun.«

»Ich wollte mich heute nur vorstellen«, stammelte sie, da war er schon im Hinterzimmer verschwunden. Amelie sah ihm kopfschüttelnd hinterher.

Kein Zweifel, das musste Ernst Schmitz, der Inhaber des Musikhauses, sein. Seine Frau Sabine hatte sie, was ungewöhnlich genug war, bereits am Telefon vor ihm gewarnt. »Ernie hat das absolute Gehör. Seine Welt ist die Musik. Aber im Umgang mit Menschen hat er eindeutig Defizite.«

»Kein Problem. Mit kauzigen älteren Herren kenne ich mich aus«, hatte sie leichthin geantwortet. »In der Eifel gibt es einige von dem Schlag.«

Ein wildes Gitarrensolo riss sie aus ihren Gedanken. Der griesgrämige Kerl reagierte seine Laune offenbar an einer E-Gitarre ab.

»Heute gehen mal wieder die Gäule mit ihm durch«, sagte jemand in ihrem Rücken.

Erschrocken fuhr Amelie herum und schaute direkt in das freundliche Gesicht einer älteren Frau, deren modischer Kurzhaarschnitt eine lila Strähne zierte.

»Ich habe die Ladenglocke gar nicht gehört«, wunderte sich Amelie. »Sind Sie Frau Schmitz?«

»Du kannst gern Bibi zu mir sagen.« Sabine Schmitz reichte ihr die Hand. Ihr Händedruck war fest und warm. »Ernie hast du ja schon kennengelernt.«

Amelie kramte die Bewerbungsmappe aus ihrem Rucksack und hielt sie Bibi hin. »Wollen Sie, Pardon, willst du meine Zeugnisse sehen?«

Sabine winkte ab. »Wir haben doch am Telefon schon alles geklärt. Du bist zweiunddreißig, ausgebildete Musiklehrerin mit Schwerpunkt Gitarre und Klavier. Hast fünf Jahre lang an der Musikschule in Monschau unterrichtet. Mehr muss ich wirklich nicht wissen.« Bibi schob sie aus dem Laden. »Wäre gut, du könntest nächste Woche schon anfangen. Unser Urlaub steht an.«

Amelie stolperte fast über ihre eigenen Füße. Das ging ihr jetzt eindeutig zu schnell. »Du weißt doch noch gar nicht, ob ich für den Job tauge. Unterrichten kann ich, aber Instrumente zu verkaufen, ist etwas ganz anderes. Und überhaupt: Wo gehen wir hin?«

»Wohin wohl? In deine neue Bleibe.« Bibi warf ihr über die Schulter einen belustigten Blick zu. »Für mich klang das am Telefon so, als könntest du nicht schnell genug aus Monschau wegkommen.« Sie bedeutete Amelie, ihr zu folgen.

»Ich weiß nicht, was du meinst.« Amelie versuchte krampfhaft, sich an den genauen Wortlaut ihres Gesprächs zu erinnern, und tapste hinter ihrer neuen Chefin her direkt auf eine Hofeinfahrt zu, die zum Hintereingang des Hauses führte.

»Ich tippe mal auf eine enttäuschte Liebe. Irgend so ein Kerl …« Bibi kramte einen Schlüsselbund aus ihrer Fransentasche.

Wie recht sie doch hatte! Dass Sabine mit ihrer Vermutung ins Schwarze traf, setzte Amelie zu. War sie so leicht zu durchschauen? »Zeigst du mir jetzt die Wohnung?«, wechselte sie rasch das Thema.

»Geht mich im Grunde genommen ja auch nichts an.« Bibi schien den Wink zu verstehen. »Du wohnst in der Mansarde, direkt über uns. Ist nicht sehr komfortabel, aber gemütlich.« Sie eilte durch die Hofeinfahrt neben dem Haus. Vor einer hohen, imposanten Haustür blieb sie stehen. »Dieser Gründerzeit-Kasten gehörte schon Ernies Großvater Ernst. Der hat damals den Musikladen hier eröffnet«, erzählte sie beiläufig. »Jetzt haben wir den ganzen Kram an der Backe. Wäre es nach meinem Mann gegangen, würden wir heute noch mit der Rockband über die Dörfer ziehen. Aber sein Vater bestand darauf, dass er eine Ausbildung zum Klavierstimmer absolvierte und den Laden übernahm.«

Amelie folgte ihr in den Hausflur und sah sich um. »Wann wollt ihr denn fahren? Du arbeitest mich doch vorher noch ein?« Sie konnte den Blick kaum von der gusseisernen Laterne wenden, die unter der Decke hing. »Wow. So eine wunderschöne Deckenleuchte habe ich noch nie gesehen.«

»Jaja«, wetterte Bibi. »Das ist das reinste Museum hier. Alles Jugendstil. Wer’s mag.« Mit forschen Schritten marschierte sie die Treppe hinauf. Im Vorbeigehen deutete sie auf eine Tür im ersten Stock. »Hier wohnen wir. Falls es dir da oben zu einsam sein sollte oder du was brauchst, komm einfach runter. Die Tür ist nicht verschlossen.« Zwei Schritte auf einmal nehmend, lief sie zur Mansardenwohnung. »Kommst du? Wir müssen gleich wieder in den Laden. Ich soll dich doch einarbeiten.« Ihr kehliges Lachen schallte durch den Flur, wirkte ansteckend.

Amelie schmunzelte, dann stimmte sie in das Gelächter mit ein. Die Anspannung der letzten Tage, ihre Zweifel und Ängste vor dem Neuanfang fielen von ihr ab. »Einverstanden, Bibi«, japste sie. »Ich nehme die Herausforderung an.«

»Da bin ich aber erleichtert. Ich dachte schon, ich müsste den Urlaub stornieren.« Ihre neue Chefin strahlte sie an. »Das Bett ist frisch bezogen. Wenn du willst, kannst du bereits heute hier schlafen.« Mit einer einladenden Geste deutete sie in einen kleinen Vorraum. »Willkommen in deinem neuen Zuhause.«

Das Erste, was Amelie auffiel, war der Geruch. Eine Mischung aus Bohnerwachs und Lavendel. Auf den Holzdielen dämpften alte Perserteppiche ihren Schritt. Zwei möblierte Zimmer, eine kleine Küche. Das Beste aber war der Ausblick auf die blühenden Kirschbäume in der Altstadt. »Sonntag ziehe ich hier ein«, verkündete sie begeistert.

Bibi drückte ihr den Schlüsselbund in die Hand. »Haustür, Wohnungstür und einer...