Kapitel 1
Hannah
Man brauchte bloß die Hand bis zum Gelenk hineinzustecken, um in der Keksdose derMoby One auf mindestens drei verschiedene Sorten Plätzchen zu stoßen. Yoshi sagte, die Besatzungen der anderen Boote seien bei den Keksen geizig und kauften immer nur die billigste Sorte mit Pfeilwurz, die in Großpackungen im Supermarkt erhältlich ist. Sie hingegen war der Meinung, wenn jemand hundertfünfzig Dollar dafür bezahlt, mit einem Boot auf Delphinjagd zu gehen, dann könne er auch einen anständigen Keks als Snack an Bord erwarten. Aus diesem Grund kaufte sie meistens Double Chocolate Anzacs, fingerförmige Shortbreads oder hauchdünne Pfefferminzplätzchen, in Folie gehüllt, und ab und an sogar selbstgebackene Kekse. Lance, der Skipper, meinte, sie kaufe nur deshalb anständige Kekse, weil das so ziemlich alles sei, was sie überhaupt zu sich nehme. Er sagte auch, wenn ihr Chef jemals dahinterkäme, wie viel Geld sie für Knabberkram ausgab, würde er einen Tobsuchtsanfall bekommen. Ich starrte die Plätzchendose an, als Yoshi den Passagieren Tee und Kaffee anbot, während dieMoby One langsam in die Bucht hinausfuhr. Ich hoffte inständig, sie würden nicht alle Anzacs aufessen, bevor ich die Gelegenheit hatte, mir einen zu schnappen. Am Morgen hatte ich mich ohne Frühstück aus dem Haus gestohlen und erst erfahren, dass Yoshi mich mitfahren lassen würde, als wir ins Cockpit gegangen waren.
«Moby One anSuzanne. Sag mal, Greg, wie viele Bierchen hast du gestern eigentlich gezischt? Du hältst Kurs wie ein einbeiniger Besoffener.»
Lance saß am Funkgerät. Während er weiterredete, steckte ich die Hand in die Keksdose und angelte mir den letzten Anzac heraus. Der Bordfunk zwischen den beiden Booten knisterte, und eine Stimme brummelte etwas vor sich hin, das ich nicht verstehen konnte.
Lance versuchte es wieder: «Moby One anSweet Suzanne. Reiß dich jetzt besser zusammen, Mann. Vier von deinen Fahrgästen hängen schon über der Reling.»
Yoshi trat zu ihm und reichte ihm einen Pott Kaffee. Ich duckte mich hinter ihr. Die Gischttropfen auf ihrer marineblauen Uniform glitzerten wie Pailletten.
«Hast du Greg gesehen?», brummte Lance.
Sie nickte. «Ich durfte ihn bewundern, bevor wir losgefahren sind.»
«Er ist so besoffen, dass er nicht geradeaus lenken kann.» Lance zeigte durch das wasserverspritzte Fenster auf das kleinere Boot vor uns. «Ich sag dir was, Yoshi, die Passagiere werden ihr Geld zurückverlangen. Der mit dem grünen Hut hat kein einziges Mal den Kopf gehoben, seit wir Break Nose Island passiert haben. Was zum Teufel ist denn in ihn gefahren?»
Yoshis Haar war das schönste, das ich jemals gesehen hatte. Es hing wie ein dicker, schwarzer Vorhang rund um ihr Gesicht und war trotz Wind und Meerwasser niemals zerzaust. Ich nahm eine meiner eigenen kümmerlichen Locken zwischen die Finger. Obwohl wir erst eine halbe Stunde auf See waren, fühlte sie sich bereits klebrig an. Meine Freundin Lara sagte, wenn sie erst vierzehn war, also in vier Jahren, würde ihre Mutter ihr Strähnchen erlauben. Genau in diesem Moment fiel Lance’ Blick auf mich. Irgendwann hatte es ja passieren müssen.
«Was machst du denn hier, Mäuschen? Deine Mami macht mir die Hölle heiß, wenn sie das erfährt. Hast du keine Schule?»
«Ferien.» Ich trat ein wenig verlegen hinter Yoshi.
«Sie kommt dir schon nicht in die Quere, kein