: Yitzhak Laor
: Steine, Gitter, Stimmen Roman
: Unionsverlag
: 9783293308053
: 1
: CHF 17.00
:
: Historische Romane und Erzählungen
: German
: 544
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Jizchak Kummer ist hochrangiger Offizier des Inlandsgeheimdienstes Shabak, übergewichtig, mit Brille und Narbe hinter dem Ohr. Er ist zum Islam übergetreten und von seinem letzten Einsatzort Gaza unabgemeldet verschwunden, nachdem ihm Ismail, ein palästinensischer Häftling und wichtiger Informant, entwischt ist. Die beiden verbindet eine gemeinsame Vergangenheit. Doch wer ist Ismail, wer ist Kummer wirklich? Der Geheimdienst bestreitet, dass es in seinen eigenen Reihen einen Verräter geben könnte oder dass ein Mann namens Jizchak Kummer überhaupt existiert.

Yitzhak Laor, geboren 1948 in Pardes Hanna nahe Haifa, ist Dichter, Bühnenautor, Romancier und Essayist. 1972 verweigerte er den Armeedienst in den besetzten Gebieten. Seine Gedichte, in denen er den Krieg im Libanon verurteilte, und seine Romane wurden von der Kritik begeistert aufgenommen, doch weigerte sich Ministerpräsident Yitzhak Shamir 1990, Laor den Poesiepreis des Ministerpräsidenten zu überreichen. 1992 erhielt er den Bernstein-Poesiepreis, 1994 den Israelischen Literaturpreis. Er lebt in Tel Aviv.

Erstes Kapitel (6. 6. 82)


»Je-ru-sa-lem, Je-ru-sa-lem«

Du Pfeife, es ist Krieg«, kollerte jemand vom Bürgersteig, wo Leute auf die Kolonne starrten, wie lange ist es her, dass Kriege weder nach Tel Aviv gekommen noch von Tel Aviv ausgegangen sind, eine lebenslustige Stadt, hier eine Krankenkasse, ein Café mit Croissants, Sonntagmorgen, man will wissen, was passiert ist, und der, der gebrüllt hat, ein Mann von vielleicht vierzig Jahren, auf einen Stock gestützt, sein Körper kräftig, trainiert in einem Fitness-Studio, humpelnd, aber muskulös, zuckt mit den Schultern, hat nicht einmal die Absicht, sich zu erklären, er zieht schon nicht mehr in Kriege, aber noch ist Kraft in seiner Brust und auch ein abfälliges Knurren bringt er noch zu Stande, »Du Pfeife, es ist Krieg«, und andere scharen sich um die bereits um den Ausrufer Versammelten, stehen, betrachten die riesigen Ungetüme, die aus dem Meer gekommen sind und über die Stadt ragend einen großen Schatten werfen, gen Westen, da die Sonne noch im Osten steht und das Schaufenster blendet, auf das in der Nacht die Kotze von Besoffenen gespritzt ist und das jetzt auf seinen arabischen Arbeiter wartet, der endlich kommen soll, um es sauber zu machen, lang ist seine Anreise am Morgen, aus seinem Kellerverschlag im Süden der Stadt bis zu dem Café im Norden und nach achtzehn Stunden Arbeit wieder zurück, vielleicht werden sie ja irgendwann einmal große Literatur über ihn verfassen, liberaler Realismus, mal angenommen, eine italienische Autorin, mal angenommen, und die Menge wird immer zahlreicher, Medikamententütchen in den Händen, einer ist sogar aus der Schlange zum Labor ausgeschwenkt und hält einen Becher mit Urin in der Hand, was stört ihn die Pisse? Panzer, Panzer in Tel Aviv, mal schaut man zu ihnen, zu den Ungetümen, und mal zu dem auf seinen Stock gestützten Mann, ein Versehrtenabzeichen am Revers, sie haben einander bereits darauf aufmerksam gemacht, auf die Anstecknadel, und genickt, ein Alter ohne rechten Arm, auch er mit Abzeichen, tritt zu dem Athletischen am Stock, deutet auf seinen Jackenaufschlag, wer weiß, woher und von wann, vielleicht Mitle, vielleicht Faludja, vielleicht ein Verkehrsunfall während des Militärdiensts, ein Privileg erwirbt man durch Qualen, auch im Diesseits, angesichts dieser Panzer, und er, am Stock, das ist genau, was ihm gefehlt hat, einen Versehrtenverein aufzumachen. Und noch dazu wo? Gleich neben der Krankenkasse! Aber er ist nur hier, ein Medikament für seine Frau abzuholen, sein Mund wirkt stolz, seine Brust gedehnt, mit einer Art Vergnügen steht er auf den Stock gestützt, und schon treffen an dieser Ecke welche aus ihren entfernter gelegenen Wohnungen ein, von dort haben sie begierig die Ungetüme verfolgt, fragen mit vorsichtigen Gesten und Kopfnicken jene, die die Schaulustigen beschauen, was passiert ist, dass er so brüllt, das ist kein alltäglicher Anblick, dass ein Mann die Armee anbrüllt, als hätte er nichts anderes zu tun, als stünden hier nicht vier Ungetüme, in deren Macht es liegt, alles zu zerstören, und trotzdem – für einen Moment interessiert allein, warum der Mann mit dem Stock und dem Abzeichen gebrüllt hat, zumal sie von der gegenüberliegenden Seite die Anstecknadel nicht