: David Hewson, Soren Sveistrup
: Das Verbrechen Kommissarin Lunds 1. Fall
: Paul Zsolnay Verlag
: 9783552056299
: 1
: CHF 10.70
:
: Spannung
: German
: 800
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Sarah Lund, 38, ist furchtlose Kommissarin bei der Polizei in Kopenhagen. Doch der grausame Mord an der neunzehnjährigen Nanna Birk Larsen, deren Leiche aus einem Kanal nahe der Hauptstadt von Dänemark gezogen wird, geht auch ihr nahe. Der Wagen, in dem sich die Leiche befand, gehört zum Fuhrpark von Troels Hartmann, dem liberalen Herausforderer des Bürgermeisters von Kopenhagen, und die Spuren des Verbrechens scheinen eindeutig in die Politik zu weisen ... Lund gelingt es in diesem hochspannenden Krimi, politische Abgründe, Intrigen und private Gewalt aufzudecken. Am Ende ist der Mörder gefunden, das Rätsel gelöst. Eine Überraschung - nicht nur für Kommissarin Lund, sondern auch für die Millionen Zuschauer der TV-Serie.

David Hewson wurde 1953 in Yorkshire geboren, brach im Alter von siebzehn Jahren die Schule ab und arbeitete später bei der Times und The Independent. Auf Deutsch erschien 2009 der Krimi Das zweite Leben. 2013 erschien Das Verbrechen. Kommissarin Lunds 1. Fall und 2014 der zweite Teil der Trilogie. 2015 erschien im Zsolnay Verlag der dritte und letzte Band der Trilogie rund um Kommissarin Lund.

Zweites Kapitel


MONTAG, 3. NOVEMBER


»Es ist im Hinterhaus«, sagte der Polizist.»Ein Obdachloser hat sie gefunden.«

Halb acht Uhr morgens, noch dunkel. Es regnete eisige Bindfäden. Vicekriminalkommissær Sarah Lund stand im Windschatten des schmutzigen Backsteinbaus in der Nähe der Docks und sah den Uniformierten zu, die das Gelände absperrten. Der letzte Tatort, den sie in Kopenhagen sehen würde. Ein Mord natürlich. Eine Frau noch dazu.

»Das Gebäude steht leer. Wirüberprüfen den Wohnblock gegenüber.«

»Wie alt ist sie?«, fragte Lund.

Der Polizist, ein Mann, den sie kaum kannte, zuckte die Schultern und wischte sich mit dem Arm den Regen vom Gesicht.

»Warum fragen Sie?«

Ein Albtraum, wollte sie sagen. Einer, aus dem sie um halb sieben mit einem Schrei hochgefahren war. Als sie aufstand, tappte Bengt, der liebe, fürsorgliche, ruhige Bengt, in der Wohnung umher und packte die letzten Sachen. Mark, ihr Sohn, lag in tiefem Schlaf vor dem Fernseher in seinem Zimmer und regte sich nicht, als sie leise hineinspähte. Am Abend würden sie ins Flugzeug nach Stockholm steigen. Ein neues Leben in einem anderen Land. Neue Ufer. Abgebrochene Brücken.

Sarah Lund war achtunddreißig, eine ernste Frau, die unablässig die Welt um sich herum betrachtete, nie sich selbst. Es war ihr letzter Tag bei der Kopenhagener Polizei. Frauen wie sie kannten keine Albträume, keineÄngste im Dunkeln, kein Aufblitzen eines erschrockenen jungen Gesichts, das vielleicht einmal ihres gewesen war.

Das waren die Phantasien anderer.

»Keine Antwort?«, sagte der Polizist und sah sie missmutig an. Er zog das Absperrband hoch und führte sie zu der eisernen Schiebetür.»Wissen Sie was? So was hab ichüberhaupt noch nicht gesehen.«

Er gab ihr ein Paar blaue Schutzhandschuhe und wartete, bis sie sieübergestreift hatte, dann stemmte er die Schulter gegen das rostige Metall. Kreischend wie eine misshandelte Katze ging die Tür auf.

»Bin gleich wieder da«, sagte er.

Sie wartete nicht, ging einfach los, wie sie es immer tat, allein, schaute, erst in die eine Richtung, dann in die andere, die hellen Augen weit geöffnet, schaute nur. Aus irgendeinem Grund schob der Polizist, kaum war sie drin, die Tür zu, so schnell, dass die Katze eine Oktave höher kreischte als zuvor. Und dann verstummte, als die schwere Eisentür sich dröhnend schloss und den grauen Tag aussperrte.

Vor ihr ein Gang in der Mitte eines Raums wie ein Fleischerladen, Träger mit Haken daran. An der Decke eine einzelne Reihe Glühbirnen. Der Betonboden glänzte feucht. Ganz hinten bewegte sich etwas im Halbdunkel, schwang wie ein riesiges Pendel langsam hin und her. Irgendwo klackte ein Lichtschalter, dann war es finster, so finster wie am Morgen in ihrem Schlafzimmer, als ein wüster, unerwünschter Traum sie wachgerüttelt hatte.

»Licht!«, rief Lund.

Ihre Stimme hallte im schwarzen, leeren Bauch des Gebäudes wider.

»Licht, bitte.«

Kein Laut. Sie war eine erfahrene Polizistin, dachte stets an alles, was sie mit sich führen musste, bis auf die Pistole, die ihr immer erst später einfiel. Aber sie hatte die Taschenlampe, wohlverwahrt in ihrer rechten Tasche. Holte sie heraus und hielt sie nach Polizistenart: rechte Hand erhoben, Handgelenk nach hinten abgewinkelt, Lichtstrahl geradeaus, suchend, in Winkel spähend, in die andere nicht schauten.

Das Licht und Lund gingen auf Suche. Decken, alte Kleider, zwei zerdrückte Coladosen, eine leere Kondompackung. Drei Schritte, dann blieb sie stehen. Rechts an der Wand, in Bodennähe, eine Pfütze, scharlachrot, klebrig, auf dem abblätternden Putz zwei waagerechte Streifen, wie verschmiertes Blut, von einer Leiche, dieüber den Boden geschleift wurde.

Lund holte ihre Nikotinkaugummis hervor und steckte sich einen in den Mund. Sie ließ nicht nur Kopenhagen hinter sich. Auch das Rauchen stand auf der Abschussliste. Sie bückte sich, tupfte einen blauen Latexfinger in die Pfütze, hob ihn an die Nase und schnupperte daran. Drei Schritte weiter stieß sie auf eine Axt, der Griff sauber und glänzend, als sei sie erst tags zuvor gekauft worden. Sie legte zwei Finger in die rote Flüssigkeit an der Schneide, rieb sie aneinander, roch daran,überlegte.

Lund würde sich nie mit dem Nicotinell-Geschmack anfreunden. Sie ging weiter. Das Ding dort vorn war jetzt deutlicher zu sehen. Eine Industrieplane, rot verschmiert. Wie das Leichentuch eines geschlachteten Tiers. Darunter menschliche Umrisse. Lund veränderte die Position der Taschenlampe, hielt sie dicht an der Taille, den Strahl aufwärts gerichtet, musterte die Plane, suchte eine Stelle, wo sie sie greifen konnte. Sie riss die Plane mit einem Ruck weg, und was dahinter war, pendelte im Schein der Lampe langsam hin und her. Das starre Gesicht männlich, der Mund zu einem immerwährenden O geöffnet. Schwarze Haare, rosa Haut, ein monströser Plastikphallus. Auf dem Kopf ein leuchtend blauer Wikingerhelm mit silbernen Hörnern und goldenen Zöpfen.

Lund legte den Kopf schräg und lächelte, der Zöpfe wegen.

Ein Zettel war an der Brust der Sexpuppe befestigt:Danke, Chefin, für sieben gute Jahre. Die Jungs.

Gelächter aus dem Dunkel.

Die Jungs.

Ein gut