: Heinz von Wilk
: Chiemseegeschichten Der kleine Urlaub für zwischendurch
: Emons Verlag
: 9783863584429
: 1
: CHF 8.10
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 176
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Sie sind schon ein bisschen anders, die Menschen, die rund um den Chiemsee leben, hier, am magischen Seen-Dreieck in Bayern. Tauchen Sie ein in den Chiemsee-Kosmos und erleben Sie, was passiert, wenn man heimlich über Nacht im Schloss Herrenchiemsee bleibt, oder warum der Teufel in Eggstätt beim Bier sitzt. Lachen Sie mit dem 'Steinheiligen' und gruseln Sie sich mit dem König der Fischer. Ob vor dem Urlaub, für den Urlaub oder anstatt: Dieses Buch ist selbst eine kleine Reise - mit Amüsiergarantie!

Heinz von Wilk, 1949 geboren, ist in Rosenheim aufgewachsen und als Musiker viele Male um die Welt gereist. Er betrieb eine Künstleragentur in Osnabrück, anschließend eine Immobilienfirma im spanischen Dénia, heute lebt er mit Frau und Dackel im Chiemgau. 2011 erschien sein erster Kriminalroman 'Chiemseejazz'.

Es gibt Tage, die haben Haare auf den Zähnen

»Entschuldigung, kennen Sie sich aus mit Kindern?«

»Klar, ich war ja selber mal eins. Warum?«, sagt der Brenner und schaut sich die Frau genauer an, die ihn aus seinen Tagträumen gerissen hat und jetzt, flankiert von zwei halbwüchsigen Kindern, vor ihm steht.

»Tja, weil wir hier ein echtes Kinder-Problem haben. Die beiden hier, die wollen mit einem Boot um die Inseln fahren. Jetzt gleich. Ich aber nicht.« Dabei lacht sie, bläst eine blonde Haarsträhne aus dem hübschen Gesicht und strahlt den Brenner mit ihren blauen Augen an.

Das ist eine, die konnte mal Frösche in Prinzen verwandeln und Prinzen wieder zurück in Frösche, wenn’s sein musste, und das ist noch gar nicht so lange her, denkt er sich.

Die Sonne steht schräg hinter ihr, und die beiden Kids links und rechts von der Frau schauen ihn interessiert an. Der Bub, der müsste so um die zwölf sein, und das Mädchen links, das könnte dreizehn sein, ungefähr jedenfalls. Heutzutage sieht man das ja nicht mehr so genau.

Jetzt muss man sagen, der Brenner Sepp, also, das ist auch so einer, dem man seine fünfundfünfzig oder sechzig Lebensjahre nicht gleich ansieht. Erst wenn man etwas genauer in dieses verwohnte Gesicht unter den ungekämmten braunen Haaren schaut, dann kriegt man mit, dass ihn das Leben schon ganz schön vor sich hergeschoben hat.

Und wie er jetzt so dasitzt, auf dem alten Holzschemel unter dem Sonnenschirm mit der Aufschrift:BOOTSVERLEIH BRENNER, eine halb volle Flasche mit lauwarmem Bier und eine angebissene Käsesemmel vor sich auf dem wackligen und verschrammten Tisch, und dabei mit seinen braunen Augen in die Sonne blinzelt, da könnte man meinen, der hat die Ruhe weg.

Gut, vielleicht wäre die ganze Geschichte normalerweise ja auch ganz anders verlaufen. Aber es ist einer von diesen Spätsommertagen, an denen der Morgennebel schnell verdunstet ist und der Himmel wieder einmal so blau strahlt, dass man sich gar nicht vorstellen mag, dass dahinter das schwarze, unfassbar kalte Weltall liegt.

Der Chiemsee schimmert smaragdgrün, und hier, am seichten Ufer vor Prien, ist er so glasklar, dass man die vielen kleinen Fische sehen kann, die zwischen den bemoosten Steinen hin und her eilen.

So, und da stehen sie also: die Frau mit ihren beiden Kindern, und der Brenner hört, wie sie sagt:»Okay, also gut: das glänzende weiße Elektroboot da. Das da, links von dem Tretboot. Was kostet das für eine Stunde?«

»Zwanzig Euro.«

»Und das Tretboot?«

»Zehn.«

»Mama, wir nehmen das weiße Elektroboot. Das oder gar keins«, sagt das Mädchen. Und der Junge:»Onkel, ich kann dir einen Witz erzählen, dann wird’s bestimmt billiger. Pass auf: Sagt die eine Frauenbrust zur anderen: Wenn wir beide nicht bald Unterstützung kriegen, dann ist aber hier echt Hängen im Schacht.«

»Hach, du bist so ein Blödi, du schnallst echt nix, ey«, sagt das Mädchen und verdreht die Augen. So, wie das eben nur Dreizehn- oder Vierzehnjährige hinkriegen.

»Kaktusse«, sagt der Junge an der Brust der Mutter vorbei.

»Kakteen, Blödi, die Mehrzahl von Kaktus heißt Kakteen und nicht Kaktusse«, stöhnt das Mädchen.

»Nein, nein, ich mein schon dich damit«, sagt der Junge und grinst.

»Gut, jetzt ist Ruhe. Passt mal auf, ihr drei«, sagt der Brenner und schaut sich die Frau im Gegenlicht der Sonne an:»Ihr nehmt das weiße Boot für eine Stunde oder so. Umsonst, geht aufs Haus. Heute passiert eh nicht mehr viel. Und das Boot, das ist ein ganz besonderes Boot. Das hat mal Leuten hier aus der Gegend gehört. Zwei Eheleuten, die sich auch heute noch ununterbrochen küssen. Besonders, wenn Besuch da ist. So was bringt Glück, meinen die beiden. Und ihr habt heute Glück, weil das Boot für diese eine Stunde nichts kostet. Also, sind wir im Geschäft?«

»Geil!«, sagt der Junge und hält dem Brenner die leicht verschmutzte Handfläche hin:»Gib mir die Fünf, Mann.«

Brenner, der leicht irritiert die Frau ansieht und gegen die Sonne blinzelt, ist sprachlos, und sie sagt:»Danke. Das ist jetzt aber ganz lieb von Ihnen. Wir nehmen das gerne an. Sie sind ein guter Mensch. Ich hab mir auch gleich so was gedacht, wo ich Sie so gesehen habe. Sie haben nämlich so eine große violette Aura, und Sie sind bestimmt ein Wassermann, oder?«

»Ja, schon, woher wissen Sie das?«

»Unsere Mama, die kann in die Zukunft sehen, wenn sie will. Und die hat auch gleich gesagt, mit dem Mann da unten am Ufer, mit dem reden wir, mit dem kommen wir klar, der ist okay.« Das Mädchen schaut den Brenner ganz ernst an, während sie das sagt, und der Junge gibt auch noch seinen Senf dazu:»Yes, das stimmt, und unserem Papa, dem hat sie auch schon damals die Zukunft vorhergesagt, nämlich, dass er sich verpissen kann, wenn er so weitermacht. Bist du eigentlich verheiratet, Onkel?«

Die Frau lacht immer noch und sagt:»Das ist mir jetzt echt peinlich. Aber wir nehmen Ihr Angebot gerne an, in einer Stunde sind wir mit dem Boot wieder da. Danke. Darf ich mir mal Ihre Hand anschauen? Bloß so, tut auch nicht weh. Zeigen Sie mir einfach Ihre rechte Handfläche. Bitte.«

Brenner, der sich jetzt selber dabei zuschaut, wie er die rechte Hand flachüber den verschrammten Tisch schiebt, sieht, wie die Frau die Hand umdreht,öffnet und vorsichtig hochnimmt.

Mit ernstem Gesicht streicht sie mit den Fingern ihrer Linkenüber Brenners Handfläche, schaut sich die Linien an und sagt:»Au Mann, wir haben aber schon richtig gelebt, oder? Jetzt erzähle ich Ihnen, was ich hier sehe. Aber drüber nachdenken, da