Teil 2
«Einem herumschweifenden Jäger begegnet ein herumschweifendes Tier.»
Afrikanisches Sprichwort
Die Bearwood Lodge hatte ihren Namen von der Gegend, in der man vor mehr als achtzig Jahren das Holz für das prächtige Bauwerk geschlagen hatte. Die Douglasien stammten aus einem entlegenen Wald, der seit jeher ein wahrer Treffpunkt für Schwarzbären war. Die Bäume waren im Winter und noch dazu in Vollmondnächten geschlagen worden, und der Abtransport aus der unwirtlichen Ecke Nova Scotias war schwierig und teuer gewesen. Dem damaligen Erbauer, Heinrich Steier, einem aus Österreich stammenden Einwanderer, waren die Kosten gleichgültig gewesen. Man erzählte sich, Steier sei ein Despot gewesen, dem Menschenleben egal waren, und so waren beim Holzeinschlag und beim Bau der Lodge siebzehn Menschen ums Leben gekommen, die meisten einheimische Mi’kmaq-Indianer. Steier selbst war vier Jahre nach Fertigstellung seines Jagdhauses, das er nur ein paarmal im Jahr bewohnte, in den endlosen Wäldern um die Bearwood Lodge verschwunden. Seine Leiche hatte man nie gefunden, was nicht ungewöhnlich war, denn diese Urwälder nahe des Kejimkujik-Nationalparks waren wild und ursprünglich und voller Bären. Was die nicht fraßen, verleibte sich die Natur ein.
In den folgenden Jahren hatte die Lodge häufig den Besitzer gewechselt, war aber stets ein Jagdhaus geblieben. Es war ausgebaut, modernisiert und vergrößert worden, der ursprüngliche Charakter war jedoch erhalten geblieben. Die Lage war einzigartig. Von der Route 203, die den Osten Nova Scotias mit dem Westen verband, zweigte irgendwo in der Wildnis eine unbefestigte Schotterpiste ab. Einzig ein altes, abgeblättertes Schild mit der Aufschrift «Bearwood Lodge» wies den Weg. Von dort ging es beinahe eine Stunde tief hinein in die ausgedehnten und dichten Wälder. Man folgte eine Weile dem Roseway River, überquerte ihn auf schmalen Holzbrücken, und wenn man schon glaubte, dieser Weg führe ins Nichts, tauchte plötzlich das grüne Dach der Lodge am Ufer des riesigen Roseway Lake auf. Man musste schon wissen, wohin man wollte, sonst fand man die Lodge nicht, und wer auf dem Weg mit seinem Wagen liegenblieb, der richtete sich besser auf eine Nacht auf der Rückbank ein. Bei gutem Wetter konnte man auch direkt auf der Straße schlafen. Die Gefahr, überrollt zu werden, war äußerst gering.
Dort, wo am östlichen Ufer der Roseway River dem gleichnamigen See entsprang, ragte eine spitze Landzunge weit in den See hinein. Dorthin hatte Steier seinerzeit sein Jagdhaus bauen lassen. Von den verschiedenen Holzveranden, die es mittlerweile besaß, war der Blick aufs dunkle Wasser des Sees prächtig. Die Lodge war von Fichten und Douglasien umgeben, mächtige dunkle Granitblöcke wuchsen überall aus der Erde. Manche wirkten wie die gepanzerten Rücken von Schildkröten, und auf den Steinen, die aus dem Roseway River ragten, sonnten sich häufig ganze Kolonien von Schnappschildkröten.
Die Lodge war traditionell aus mächtigen Rundhölzern gebaut, innen wie außen. Wegen ihrer abgelegenen Lage war ein Versuch in den neunziger Jahren fehlgeschlagen, sie touristisch zu nutzen. Aber in dieser Zeit waren einige Annehmlichkeiten eingebaut worden: Es gab einen Whirlpool, eine Außensauna sowie einen mächtigen Grill aus Natursteinen direkt am Ufer. Elektrizität musste nach wie vor mittels Generatoren erzeugt werden, das Abwasser versickerte in Gruben, Müll wurde per Lkw nach Digby transportiert. Die Einsamkeit hatte Nachteile, aber eine schönere, wildere, ursprünglichere Lage fand man auf ganz Nova Scotia nicht. Zu drei Seiten hin war die Landschaft quasi abgeschottet durch