Prolog
Dunkelheit. Winter. Eine frostige, mondlose Nacht.
Unser Schiff lag auf der Temes, und über seinen hohen Bug hinweg sah ich auf dem schimmernden Wasser das Spiegelbild der Sterne. Der Fluss führte Hochwasser, denn geschmolzener Schnee von zahllosen Hügeln hatte ihn anschwellen lassen. Die Schmelzbäche kamen aus den hochgelegenen Kalkebenen von Wessex. Im Sommer würden sie austrocknen, doch jetzt stürzten sie sich schäumend die langgestreckten grünen Hügel hinab und nährten den Fluss und flossen bis weit ins Meer.
Unser Schiff, das keinen Namen trug, lag am südlichen Ufer, hinter dem Wessex begann. Nördlich des Flusses lag Mercien. Unser Bug war stromaufwärts gerichtet. Wir verbargen uns unter den tief herabhängenden, winterkahlen Zweigen dreier Weidenbäume, gegen das Abtreiben mit der Strömung durch ein ledernes Tau gesichert, das wir um einen Ast geschlungen hatten.
Wir waren achtunddreißig in diesem namenlosen Gefährt, einem Handelsschiff, das den Oberlauf der Temes befuhr. Der Schiffsführer hieß Ralla, und er stand mit einer Hand auf dem Steuerruder neben mir. Ich konnte ihn in der Finsternis kaum sehen, doch ich wusste, dass er ein Lederwams trug und sich mit einem Schwert gegürtet hatte. Wir anderen waren mit Lederharnischen, Kettenhemden, Helmen, Schilden, Äxten, Schwertern oder Speeren gerüstet. Heute Nacht würden wir töten.
Sihtric, mein Diener, kauerte neben mir und fuhr mit einem Wetzstein über die Klinge seines Kurzschwertes. «Sie sagt, sie liebt mich», erklärte er mir.
«Natürlich sagt sie das», sagte ich.
Er hielt inne, und als er weitersprach, klang seine Stimme lebhafter, als hätten ihn meine Worte ermutigt. «Und ich muss jetzt schon neunzehn Jahre alt sein, Herr! Vielleicht sogar zwanzig?»
«Achtzehn?», schlug ich vor.
«Ich könnte schon seit vier Jahren verheiratet sein, Herr!»
Wir sprachen beinahe flüsternd. Die Nacht war voller Geräusche. Das Wasser murmelte, die kahlen Zweige schlugen im Wind gegeneinander, ein Nachttier sprang klatschend in den Fluss, eine Füchsin heulte wie eine tote Seele, und irgendwo rief eine Eule. Das Schiff knarrte. Sihtrics Wetzstein zischte und kratzte über den Stahl. Ein Schild schlug dumpf gegen eine Ruderbank. Trotz all dieser nächtlichen Geräusche wagte ich es nicht, lauter zu sprechen, denn das feindliche Schiff lag stromaufwärts vor uns, und die Männer, die von diesem Schiff aus an Land gegangen waren, hatten bestimmt Wachen an Bord zurückgelassen. Diese Wachen mochten uns gesehen haben, als wir auf der mercischen Uferseite stromabwärts gefahren waren, doch mittlerweile würden sie bestimmt annehmen, dass wir uns weit Richtung Lundene entfernt hatten.
«Aber wer will eine Hure heiraten?», fragte ich Sihtric.
«Sie ist …», setzte Sihtric an.
«Sie ist alt», knurrte ich, «vielleicht schon dreißig. Und verdorben ist sie obendrein. Ealswith muss einen Mann nur sehen, und schon macht sie die Beine breit! Wenn du jeden Mann aufstellen würdest, der diese Hure besprungen hat, dann hättest du eine Armee vor dir, mit der du ganz Britannien erobern könntest.» Neben mir kicherte Ralla. «Und wärst du auch in dieser Armee, Ralla?», fragte ich.
«Mit mehr als zwanzigfacher Sicherheit, Herr», sagte der Schiffsführer.
«Sie liebt mich.» Sihtric klang trotzig.
«Sie liebt dein Silber», sagte ich, «und außerdem, warum sollte man ein neues Schwert in eine alte Scheide stecken?»
Es ist merkwürdig, über was Männer vor dem Kampf so reden. Über alles, außer über das, was sie vor sich haben. Ich habe in einem Schildwall gestanden, vor mir den Feind mit hell blitzenden Klingen und finster drohenden Mienen, und da hörte ich