: Anna Jessen
: Die Insel der Wünsche - Gezeiten des Glücks Roman
: Goldmann
: 9783641258092
: Die Helgoland-Saga
: 1
: CHF 8.80
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: Historische Romane und Erzählungen
: German
: 576
: DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Helgoland 1899. Nach dem Tod ihres Mannes und dem Bankrott seines Hotels steht Tine Tiedkens vor dem Nichts. Nur ihre Tochter Henriette hindert sie daran, den letzten Schritt zu tun. Langsam findet sie wieder ins Leben zurück, züchtet im Garten der Pastorei, wo sie Zuflucht gefunden hat, Blumen für die prächtigen Hotels der Insel. Ein unerwartetes Angebot lässt sie schließlich Hoffnung auf ein neues Glück schöpfen: Man trägt ihr die Stelle als Hausdame im eleganten »Imperial« an - dem Hotel, das einst ihrem Mann gehörte und das ihr Lebensmittelpunkt war. Doch dann ziehen dunkle Wolken am Horizont auf. Helgoland wird immer mehr zu einer militärischen Festung ausgebaut, und die illustren Sommergäste vom Festland bleiben aus. Tines Träume welken - und schon bald steht sie vor einer Entscheidung, die nicht nur ihr Leben für immer zu verändern droht ...

Anna Jessen liebt die Nordsee seit der Kindheit. Daher ist jede mögliche Reise dorthin eine willkommene Gelegenheit, sich den Wind um die Nase wehen zu lassen, Feuersteine zu sammeln und auf der Düne den Gedanken nachzuhängen. Helgoland ist für Anna Jessen die »Insel der Wünsche«, faszinierend durch die einzigartige Natur, die liebenswerten Menschen und nicht zuletzt durch die besondere Geschichte, die dieser Fels erlebt hat. Neben dem Reisen gilt die ausgesprochene Leidenschaft Anna Jessens dem Schreiben, der Musik und der Arbeit im Buchhandel.

Erstes Kapitel

Es war eine raue Nacht. Tine konnte deutlich fühlen, dass sich ein Sturm ankündigte. Doch noch war der Himmel klar, und die Sterne glitzerten über der See. Rings um die Insel lagen Schiffe und Boote in einigem Abstand, um das neue Jahr – und das neue Jahrhundert! – mit ihren Leuchtfeuern zu begrüßen. Es würde nicht mehr lange dauern, aber Tine würde nicht hier warten. Sie würde zurückgehen in die Pastorei, um mit Pfarrer Thevessen und seiner Frau den Jahreswechsel zu begehen.

Eben hatte sie noch ein paar Blumen auf das Grab ihres verstorbenen Mannes gelegt, Veilchen von der Fensterbank ihres Zimmers, denn im Moment wuchs ja nichts im Freien. Sie hatte an Henry gedacht und an die kurze, wunderschöne Zeit mit ihm. An seine blitzenden Augen, seinen Optimismus, seine sanfte Stimme, alles, was sie so an ihm geliebt hatte – und an seinen viel zu frühen und sinnlosen Tod. Von dieser Klippe hatte er sich gestürzt, nachdem sein Lebenswerk zerbrochen war und er befürchtet hatte, seine junge Familie mit dem bevorstehenden Konkurs in den Abgrund zu reißen. Dabei war es sein Tod gewesen, der Tine und ihr Kind in den Abgrund gerissen hatte. Und die Thevessens waren es – einmal mehr – gewesen, die die junge Frau gerettet hatten. Niemals würde Tine die Schuld begleichen können, in der sie dem Pastorenpaar gegenüberstand.

Erste Feuer wurden draußen entzündet. Die Boote hatten Holzhaufen auf kleinen Flößen zu Wasser gelassen. Nun entzündeten sie diese schwimmenden Fackeln nach und nach. Ein Feuerring würde Helgoland umgeben, wie damals, als die Insel an das Deutsche Reich gefallen war. Tine war zu der Zeit noch sehr neu gewesen auf Helgoland – und eine junge, schwer verliebte Ehefrau. Nun war sie immer noch keine dreißig Jahre alt, aber sie fühlte sich, als wäre sie schon seit Ewigkeiten Insulanerin und vor allem: als wäre ihr Leben im Großen und Ganzen vorbei. Denn auch wenn es immer wieder Angebote gegeben hatte, mehr oder weniger offene – sich wieder zu verlieben war ihr nicht geglückt. Zu groß war der Schmerz über Henrys Verlust gewesen, zu tief saßen die Sorgen um ihre Zukunft – und um die ihrer Tochter. Denn Jette war ihr Ein und Alles. Ihretwegen hatte Tine einen Weg zurück ins Leben gesucht, nachdem sie die erste Zeit der Trauer überstanden hatte. WäreJette nicht gewesen, Tine wäre ihrem Mann gefolgt. Dank Jette hatte sie ihre Verzweiflung jedoch überwunden und sich schließlich an die Reste dessen geklammert, was ihr noch Kraft gab. Und diese Kraft gab sie weiter an ihre Tochter, die zu einem fröhlichen Wesen herangewachsen war. Blondgelockt wie Tine als Kind, mit strahlendem Lachen und großen, blitzenden Augen. Eine Schönheit würde sie einst werden. »Ich werde gut aufpassen müssen, Henry«, erklärte Tine lächelnd. Sie war fest davon überzeugt, dass er in jeder Sekunde bei ihr war und jedes ihrer Worte hörte. »Sie wird umworben sein wie ein Rosenbusch von den Frühlingsbienen.« Hoffentlich würde auch Jette einen Mann finden wie einst Tine – und hoffentlich würde ihr Glück dann länger währen als das ihrer Eltern, denen keine zwei Jahre beschieden gewesen waren.

Immer mehr Feuer entflammten am unsichtbaren Horizont. Zwischen den im Mondlicht glitzernden Wellenkämmen loderten goldene Signale. Bald würde es so weit sein. Um Mitternacht würde der Pastor die Kirchenglocken von St. Nicolai läuten, und in den Häusern würden stille und laute Gebete gesprochen werden, auf dass das neue Jahr ein gutes würde: eines, in dem die Insel vo