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Obwohl der Verdacht nahelag, war die Ursache für den Unfall definitiv nicht der Alkohol, sondern der arme Hirsch. Auf gar keinen Fall war Carolines Fahrweise daran schuld, denn sie hatte als Einzige auf die Daiquiris verzichtet und den ganzen Abend nichts Stärkeres als Limonade angerührt.
Wie die meisten Junggesellinnenabschiede war auch der meine eine eher harmlose Veranstaltung gewesen. Es hatte keine Geschmacklosigkeiten gegeben: keine Stripper und auch keine rauschbedingten Eskapaden, die einem noch nach Monaten ein schlechtes Gewissen verursachten. Mit meinen siebenundzwanzig Jahren fühlte ich mich irgendwie schon ein wenig zu »reif« für die wilden Partynächte, die meine Studententage geprägt hatten. Was aber keineswegs heißen soll, dass wir uns nicht trotzdem alle bestens amüsierten. Zu zehnt hatten wir einen luxuriösen »Frauentag« in einem schicken Wellness-Hotel verbracht und uns anschließend – nach Strich und Faden verwöhnt, massiert und von Kopf bis Fuß mit Feuchtigkeitscreme gesättigt – in die Hotelbar begeben, wo (angeblich) die besten Cocktails diesseits von Manhattan serviert wurden. Ich war noch nie in New York gewesen, aber wenn die Leute dort so feine Sachen tranken, war die Stadt ganz bestimmt eine zukünftige Reise wert.
Wir hatten gerade die erste Runde intus, als Sheila, meine Schwiegermutter in spe, sich erhob. »Ach nein, sag jetzt nicht, dass du schon gehst!«, rief ich enttäuscht.
»Ich muss«, erklärte sie mit einem bedauernden Lächeln. »Der arme Dennis ist schon den ganzen Tag allein. Ich habe mir gerade ein Taxi gerufen. In ein paar Minuten ist es da.«
Lächelnd stand ich auf. »Ich begleite dich hinaus.« Nachdem ich einen kleinen Hindernislauf über diverse Beine und Handtaschen hinter mich gebracht hatte, hakte ich mich bei ihr unter, und wir schlängelten uns durch die Bar in Richtung Foyer. Dabei kamen wir an meiner lieben Freundin Amy vorbei, die gerade auf einem der auf Hochglanz polierten Barhocker thronte – angeblich nur, um die nächste Runde für uns zu bestellen. Ihre Körpersprache und ihr leises, kokettes Lachen weckten in mir jedoch den Verdacht, dass sie von dem gutaussehenden Barmann mehr wollte als bloß eine Runde Daiquiris. Mit seinem lässig ins Gesicht fallenden Haar und den strahlend weißen Zähnen – die wir alle zu sehen bekamen, weil er Amy gerade breit angrinste – hatte er mehr von einem Boygroup-Mitglied als von einem Barkeeper. Fast tat er mir leid. Er wusste es zwar noch nicht, aber er hatte keine Chance zu entkommen.
Nach der schummrig beleuchteten Bar erschien mir das Licht im Foyer richtig grell, und während wir auf die Drehtür zusteuerten, tränten mir ein wenig die Augen, weil sie sich erst wieder an die blendende Helligkeit gewöhnen mussten.
»Danke, dass du heute mit von der Partie warst, Sheila«, sagte ich und meinte es auch so. Anfangs war ich ehrlicherweise überrascht gewesen, dass Richards Mum meine Einladung, uns zu begleiten, tatsächlich angenommen hatte. Wobei sie für mich natürlich schon längst zur Familie gehörte, auch wenn sie erst in Kürze ganz offiziell meine Schwiegermutter werden sollte. Sie und meine Mutter waren seit vielen Jahren befreundet. Dadurch hatten Richard und ich uns überhaupt erst kennengelernt, auch wenn ich mich daran nicht genau erinnern kann, weil wir beide zu dem Zeitpunkt erst zwei Jahre alt waren.
»Das hätte ich um nichts in der Welt verpassen wollen«, entgegnete Sheila, während sie mich in eine mütterliche Umarmung zog. Ich spürte, wie mir die Tränen in die Augen stiegen, als sie mir leise ins Ohr flüsterte, was uns beiden schon den ganzen Tag im Kopf herumging: »Wie schade, dass deine Mum nicht dabei sein konnte.«
Eingehüllt in eine duftende Wolke Chanel Nr. 5, nickte ich nur wortlos, weil ich befürchtete, dass meine Stimme mir den Dienst versagen würde.
Während sie mich aus ihren Armen entließ, drückte sie fest meine Hände. »Es wird alles gut, Emma, du wirst schon sehen.«
Ich sah ihr nach und winkte, als sie in das T