: Donna Leon
: Ein Leben in Geschichten
: Diogenes
: 9783257613247
: 2
: CHF 24.00
:
: Biographien, Autobiographien
: German
: 192
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Donna Leon hat viel erlebt, in Amerika, dem Iran, Saudi-Arabien, Italien natürlich oder in der Schweiz. Kaum aber passiert ihr ein Abenteuer, wird auch schon eine spannende Geschichte daraus. Sie erzählt uns von ihrer Jugend auf der Farm und von Sperrstunden-Pyjamapartys im Iran, Geldnot und einem Fiat 600. Davon, wie sie als »Anstandsdame« nach Italien kam, von der Jagd nach dem perfekten Cappuccino und kleinen Wundern in den Bergen.

Donna Leon, geboren 1942 in New Jersey, arbeitete als Reiseleiterin in Rom und als Werbetexterin in London sowie als Lehrerin und Dozentin im Iran, in China und Saudi-Arabien. Die ?Brunetti?-Romane machten sie weltberühmt. Donna Leon lebte viele Jahre in Italien und wohnt heute in der Schweiz. In Venedig ist sie nach wie vor häufig zu Gast.

Am Anfang vonAnna Karenina heißt es, alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Art unglücklich. Da der Satz von Tolstoi stammt und er vermutlich einschlägige Erfahrungen hatte, will ich ihn gelten lassen, auch wenn ich finde, dass Familien, egal, ob glücklich oder unglücklich, sich vor allem durch ihre Macken unterscheiden. In der Kindheit sehen wir die eigene Sippe noch als Maßstab an, was ganz natürlich ist, schließlich wachsen wir darin auf, übernehmen ihre Redeweise, ihre gesellschaftlichen und finanzpolitischen Ansichten, ihre Art, mit Stress umzugehen, mit Alkohol oder dem Gesetz. Da liegt es nahe, ihr Verhalten normal zu finden, so verschroben es in Wahrheit auch sein mag.

In anderen Familien nehmen wir dagegen durchaus Absonderlichkeiten wahr: Ich habe in dieser Hinsicht als Kind weiß Gott einiges erlebt. Aber wohl aus Mangel an Erfahrung kommen uns auch die Macken anderer Leute erst zum Bewusstsein, wenn wir älter werden. Anfangs sind wir noch so damit beschäftigt, zu lernen und Eindrücke zu sammeln, dass kaum Zeit bleibt für Wertung und Zensur: Kinder sind zunächst einmal nichts weiter als unbefangene Beobachter.

Erst später beginnen wir zu richten oder zumindest eine kritische Haltung einzunehmen; oder vielleicht betrachten wir auch nur das vormals vermeintlich Normale aus objektiver Distanz und erkennen so unsere früheren Irrtümer.

In diesem Zusammenhang denke ich unwillkürlich an Dickens und all die bizarren Nebenfiguren, die seine Bücher bevölkern: an den alten Mann, der, um die Aufmerksamkeit seiner Frau zu erringen, mit Sofakissen nach ihr wirft; an Wemmick und seinen betagten Vater ausGroße Erwartungen oder Uriah Heep ausDavid Copperf‌ield. Als Kind, bei der ersten Lektüre, erscheinen uns diese Figuren fast so unwirklich wie Geschöpfe von einem anderen Stern. Erst der Erwachsene entdeckt beim Wiederlesen, wie viele Uriah Heeps die Welt bevölkern und in wie vielen Ehen unterschwellig aggressiv miteinander umgegangen wird. Ganz ähnlich verhält es sich, wenn man aus der Erwachsenen- oder gar Altersperspektive auf die eigene Familie zurückschaut und einem aufgeht, dass manches von dem, was sich dort zutrug, wohl ganz schön abgedreht war.

Zu den skurrilen Figuren aus meiner Kindheit gehörten drei Tanten meiner Mutter, die gemeinsam ein Haus mit zwölf Zimmern bewohnten. Die verwitwete Tante Trace war mit einem Apotheker verheiratet gewesen (was den Spekulationen darüber, woran er gestorben war, Tür und Tor öffnete). Ihre beiden Schwestern hießen Tante Gert und Tante Mad und