: Wolfgang Schorlau
: Die blaue Liste Denglers erster Fall
: Verlag Kiepenheuer& Witsch GmbH
: 9783462300161
: Dengler ermittelt
: 1
: CHF 10.00
:
: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 352
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Der Auftakt der Krimi-Reihe von Wolfgang Schorlau über den Stuttgarter Privatermittler Georg Dengler: »Ein spannender Politthriller ... eine echte Konkurrenz für Wallander& Co« Handelsblatt Privatdetektiv Georg Dengler, früher Zielfahnder beim BKA, ist einem Fall auf der Spur, der fast zu gefährlich für ihn wird und zurückführt in die Zeit der Wende und der großen Gier ... Georg Dengler ist im Unfrieden beim BKA ausgeschieden. Sein erster Fall als Privatdetektiv verspricht leicht verdientes Geld zu werden. »Es geht um meine Freundin«, sagt der Anrufer. »Ihr Vater kam vor zwölf Jahren bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Merkwürdig ist nur, er rief sie vorher an und sagte, er habe die Maschine verpasst. Forschen Sie ein bisschen nach und schreiben Sie einen Bericht, damit sie wieder ruhig schlafen kann.« Der Vermisste war Mitarbeiter der Treuhand und Verfasser der »Blauen Liste« - des Dokuments, das der Deutschen Vereinigung einen völlig anderen Weg wies ... Wolfgang Schorlau fügt drei Ereignisse neuerer deutscher Geschichte zu einem Krimi der Extraklasse: Am 27. Juni 1993 wurde das RAF-Mitglied Wolfgang Grams am Bahnhof in Bad Kleinen erschossen. Sieben Jahre später behauptete das Bundeskriminalamt, ein Haar von Grams am Tatort des Attentats auf Carsten Detlev Rohwedder identifiziert zu haben. Rohwedder war der erste Präsident der Treuhandgesellschaft, jener Behörde, die nach der Wende alle Betriebe der ehemaligen DDR verwaltete. Mit seinem Tod wurde eine Änderung der Treuhandpolitik möglich, dem Ausverkauf des Ostens konnte Rohwedder nicht mehr widersprechen. Sechs Wochen nach dem Attentat stürzte eine Maschine der Lauda-Air über dem Dschungel von Thailand ab; 223 Menschen kamen ums Leben. An Bord: hochrangige Berater von Rohwedder. Alle Fälle von Georg Dengler: - Die blaue Liste - Das dunkle Schweigen - Fremde Wasser - Brennende Kälte - Das München-Komplott - Die letzte Flucht - Am zwölften Tag - Die schützende Hand - Der große Plan - Kreuzberg BluesDie Bücher erzählen eigenständige Fälle und können unabhängig voneinander gelesen werden.

Wolfgang Schorlau lebt und arbeitet als freier Autor in Stuttgart. Neben den zehn Dengler-Krimis »Die blaue Liste«, »Das dunkle Schweigen«, »Fremde Wasser«, »Brennende Kälte«, »Das München-Komplott«, »Die letzte Flucht«, »Am zwölften Tag«, »Die schützende Hand«, »Der große Plan« und »Kreuzberg Blues« hat er die Romane »Sommer am Bosporus« und »Rebellen« veröffentlicht - und zusammen mit Claudio Caiolo die Venedig-Krimis um Commissario Morello. 2006 wurde er mit dem Deutschen Krimipreis, 2012 und 2014 mit dem Stuttgarter Krimipreis sowie 2019 mit dem Stuttgarter Ebner-Stolz-Wirtschaftskrimip eis ausgezeichnet.

1


Das erste Licht verwandelte den Tisch, der unter dem Fenster stand, allmählich aus einem Schatten in ein Möbelstück zurück. Georg Dengler lag bereits eine Stunde wach.

Die Zeit der Morgendämmerung gefiel ihm. Er fand es fair, dass der Tag der zurückweichenden Nacht gestattete, das Gesicht zu wahren, und nur behutsam das Regime über die Gegenstände des Raumes übernahm. Die zwei überlangen Schatten an der Wand schrumpften zu den beiden Flaschen Merlot, die er gestern Abend getrunken hatte, und die dunklen Inseln auf dem Fußboden entpuppten sich innerhalb weniger Minuten als die achtlos hingeworfenen Kleidungsstücke, derer er sich gestern Abend hastig entledigt hatte.

Kaum fanden die Dinge im Zimmer ihre ursprünglichen Konturen wieder, rollte er sich noch einmal auf die Seite. Das Federbett wärmte ihn, und Dengler schloss mit dem Fuß eine Lücke zwischen Decke und Leintuch, durch die für einen Augenblick irritierend kalte Luft eingedrungen war.

In diesen frühen Stunden vermisste er die Nähe eines weiblichen Körpers. Er sehnte sich danach, sich an den Rücken einer schlafenden Frau zu schmiegen, und stellte sich vor, wie er seine Hand um ihre Taille legen, ihre Haut spüren und ihrem Atem lauschen würde. Er blätterte in seiner Erinnerung wie in einer erotischen Kartei, fand aber kein Vorbild für die Frau, die er sich in diesem Augenblick wünschte.

Ich will mich verlieben – dieser Gedanke gefiel ihm nicht. Gestern Abend war er noch spät in die WeinstubeFröhlich gegangen, um seine neue Freiheit mit einem Glas Grauburgunder zu feiern. Doch berührte ihn das Lächeln der jungen Frau, die ihm das Glas an den Tisch brachte, so unerwartet, dass er für einen Augenblick glaubte, es habe ihm selbst gegolten und sei nicht eine professionelle Mimik für den späten Gast. Unauffällig und ein wenig eifersüchtig hatte er beobachtet, ob sie den drei Studenten am Nachbartisch ein ähnlich offenes Lächeln schenken würde. Als sie es nicht tat, leerte er sein Glas in zwei Schlucken und zahlte bei ihrem Kollegen an der Theke.

Inzwischen lärmte auf der Straße die Müllabfuhr.

Georg Dengler wartete einen Augenblick, ob der fast schon vertraute, schmerzende Stich im Kreuz einsetzen würde. Doch heute schmerzte sein Rücken nicht, und so warf er schnell die Decke zurück. In zwei Schritten stand er vor demCD-Spieler, drückte die Play-Taste, reckte sich und registrierte ungeduldig das kurze Grummeln, mit dem die Maschine sich in Gang setzte. Dann endlich sang Junior Wells einen Willie-Dixon-Blues. Seine raue Stimme füllte Denglers kleines Zimmer, und die Pianosoli von Otis Spann plätscherten durch den Raum.

I don’t want you

To be no slave

I don’t want you

To work all day

I don’t want you

’Cause I’m kind of sad and blue

I just want to make love to you

Dengler drehte den Ton lauter und begann mit den allmorgendlichen Liegestützen. Aus den Augenwinkeln sah er jedes Mal, wenn er sich vom Boden abstemmte, die Marienstatue an der Wand. Bald ist die Farbe völlig abgesprungen, dachte er, und tatsächlich war von dem ehemals blauen Umhang nur noch an wenigen Stellen die Farbe zu sehen. Dunkles Holz trat hervor, und der Heiligenschein war vollständig abgegriffen.

Nach dem dreißigsten Liegestütz schwitzte er. Und als er sich nach der sechzigsten Übung erhob, beobachtete ihn die Madonna immer noch. Junior Well’s Mundharmonika lieferte sich ein Duell mit Buddy Guys Gitarre. Er drehte die Musik noch lauter und ging ins Bad.

Nach dem Duschen zog er sich an und benötigte wie üblich zwanzig Minuten dafür. Die einfarbigen, dunkelblauen Boxershorts sollten zu den neuen Jeans passen, er wählte ein helles, leicht ockerfarbenes Shirt. Es passte zu dem dunkelblauen Jackett, in das er nun mit einer schnellen Bewegung schlüpfte.

Noch ohne Schuhe ging er in seinen Büroraum und fuhr den Rechner hoch. Als die Eingabeaufforderung für das Kennwort aufleuchtete, drückte Dengler mit der Esc-Taste dieses Fenster fort. Er brauchte kein Passwort. Über den Netscape-Navigator loggte er sich ins Internet ein und rief die Seite der Citibank auf.

Sein Guthaben betrug 4578,34 Euro. Das Bundeskriminalamt hatte ihm sein letztes Gehalt imme