: Ulrike Renk
: Eine Familie in Berlin - Paulas Liebe Roman
: Aufbau Verlag
: 9783841226693
: Die große Berlin-Familiensaga
: 1
: CHF 8.00
:
: Historische Romane und Erzählungen
: German
: 400
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB

'Paulas Geschichte musste ich erzählen!' Ulrike Renk.

Berlin, Ende des 19. Jahrhunderts. Sie nennen ihn 'Merlin', weil er alle verzaubert - der Mann, den ihr Bruder ihr als seinen Freund vorstellt. Paula Oppenheimer, die in einem offen jüdischen Haushalt groß geworden ist, verliebt sich in den jungen Dichter Richard Dehmel. Er verkehrt mit vielen Literaten und will als Künstler leben. Paula wird zu seiner Muse und zur strengen Kritikerin seiner Texte. Als sich ihre Eltern gegen ihre Verbindung stellen, kämpft Paula für ihre Liebe. Doch dann muss sie sich fragen, ob Richards wilde, unkonventionelle Art sie auf Dauer glücklich machen kann ...

Das Porträt einer Künstlerin in unruhigen Zeiten: Am Anfang war sie die Ehefrau des Dichters Richard Dehmel - dann wurde sie selbst zur Schriftstellerin.

Von der Autorin der Bestseller 'Jahre aus Seide' und 'Das Lied der Störche'. Die neue Saga der Bestsellerautorin Ulrike Renk.



Ulrike Renk, Jahrgang 1967, studierte Literatur und Medienwissenschaften und lebt mit ihrer Familie in Krefeld. Familiengeschichten haben sie schon immer fasziniert, und so verwebt sie in ihren Bestsellern Realität mit Fiktion. Im Aufbau Taschenbuch liegen ihre Australien-Saga, ihre Ostpreußen-Saga, ihre Seidenstadt-Saga sowie zahlreiche historische Romane vor. Eine Familie in Berlin - Paulas Liebe ist der Auftakt ihrer großen neuen Familiensaga um die Dichterfamilie Dehmel. Mehr Informationen zur Autorin unter www.ulrikerenk.de.

Kapitel 2


»Was hast du ihm gesagt?«, fragte Mutter.

»Was hat er dazu gesagt?«, wollte Tante Guste wissen.

»Was ist hier eigentlich los? Irgendetwas ist doch passiert«, sagte Franz.

Sie hatten die Tafel aufgehoben und saßen nun alle im Wohnzimmer. Nur Elise war ins Bett gegangen.

»Weißt du, was hier los ist?« Franz nahm Paula am Arm, zog sie zu sich.

»Nein, ich …«, murmelte Paula und versuchte sich seinem Griff zu entwinden. »Ich verstehe auch nicht so recht, was passiert ist.«

»Toni, genau aus dem Grund möchte ich, dass Paula …«, fing Tante Guste an, doch Mutter fuhr ihr ins Wort.

»Nicht jetzt, Guste, nicht jetzt!«

»Wieso, was ist denn?«, wendete sich Vater an seine Schwägerin.

Mutter drehte sich zu ihm um. »Nicht vor den Kindern.«

»Aber …«

»Nein!« Mutter sah Paula und Franz an. »Paula, geh in die Küche und hilf beim Abwasch. Franz, du kannst noch die Hühner in den Stall bringen und dann auf euer Zimmer gehen.« Ihr Tonfall ließ keinen Widerspruch zu.

»Jetzt schon? Es ist doch noch so früh«, maulte Franz.

»Aber es ist fast dunkel. Also höchste Zeit für die Hühner, damit der Fuchs sie nicht holt.«

»Du hast doch sicherlich noch etwas für die Schule zu tun«, fügte Vater hinzu. Franz seufzte tief auf und zog von dannen, er wusste, es wäre zwecklos, weiter zu protestieren.

Paula wartete, bis er den Raum verlassen hatte, dann drehte sie sich zu den Eltern um und holte mit klopfendem Herzen tief Luft.

»Ich weiß, dass es mit dem zu tun hat, was ich über Herrn Meyer gesagt habe.« Sie schluckte. »Die Mieter sind wichtig für uns, das ist mir sehr bewusst. Sollte mein Verhalten zu Unstimmigkeiten geführt haben, dann tut es mir leid. Ich habe das nicht mit Absicht gemacht.« Paula stocke, sie senkte den Kopf, ihre Augen brannten. Sie hörte, wie ihre Mutter sich räusperte. »Mein liebes Kind. Mach dir bitte keine Gedanken. Du hast am wenigsten Schuld.« Sie nahm Paula in die Arme, drückte sie fest an sich. »Du bist die beste Tochter, die man sich denken kann.«

»Aber …?«, fragte Paula leise. »Was ist denn überhaupt passiert?«

»Zum Glück noch nicht allzu viel«, sagte Tante Guste nun resolut. »Herr Meyer hat seine Grenzen überschritten, und du hast es erkannt. Dabei hätten wir alle es sehen müssen.«

»Meyer hat sich nicht ehrenvoll dir gegenüber verhalten, und das tut mir sehr leid«, sagte nun der Vater. »So etwas dulde ich in meinem Haus nicht. Lieber habe ich keine Untermieter, als dass so etwas passiert.«

»Er hat ja nicht wirklich etwas getan …«

»Doch, Paula, das hat er«, sagte Tante Guste und strich ihr über das Haar. »Er hat dich berührt. Und das sicher nicht in guten Absichten.«

Nun wurde Paula bewusst, dass das Verhalten des Mieters nicht so arglos gewesen war, wie sie es gehofft hatte. Sie war kein Kind mehr, sie stand an der Schwelle zum Erwachsensein, aber bisher hatten die Untermieter sie wie ein Kind behandelt. Meyer nicht, auch wenn sie das lange nicht hatte wahrhaben wollen, denn hier – in ihrem Zuhause – hatte sie sich immer geborgen und sicher gefühlt.

Erschrocken schaute Paula von Mutter zur Tante.

»Er wollte … wollte … mich …«, stammelte Paula erschrocken.

»Das wissen wir nicht. Seine Annäherungen waren auf jeden Fall unlauterer Art, mein Kind. Aber nun solltest du Esther in der Küche zur Hand gehen und danach ins Bett. Der Tag war lang und anstrengend genug. Er ist ja nun weg, und du brauchst dir keine Gedanken mehr zu machen«, sagte Mutter und räusperte sich. Ihre Stimme hatte zwischendrin unsicher gezittert, auch das war Paula neu. Sie fügte sich aber und fragte nicht noch weiter nach.

Im Souterrain klapperte Esther mit dem Geschirr. Sicherlich spülte sie schon, und eigentlich sollte sie sich sputen, um ihr zu helfen. Aber die Neugierde war stärker, und so blieb sie hinter der Tür stehen und lauschte.

»Ich habe so etwas befürchtet«, sagte ihre Tante in einem düsteren Ton. »Ich habe es dir gesagt, Toni. Paula ist kein Kind mehr – körperlich, auch wenn sie noch so ein reines Gemüt hat. Es ist kein Leben hier für sie.«

»Was?«, fragte Vater und lachte bitter auf. »Wo soll sie denn sonst hin?«

»Zu mir.« Guste machte eine Pause. »Ich nehme sie zu mir. Bei uns kann sie wohnen, und ich werde sie unterstützen. Das entlastet euch finanziell, und Paula gibt es Raum, sich zu entwickeln. Überleg doch, Julius – sie wird im Dezember sechzehn und teilt sich das Zimmer mit ihrem Bruder. Und dann sind da noch die Pensionsgäste, auf die ihr offensichtlich nicht verzichten könnt …«

»Wir brauchen sie nicht«, sagte Toni resolut. »Ich werde noch mal das Haushaltsbuch durchgehen. Sicherlich können wir noch etwas sparen.«

»Ach Toni, Liebes«, sagte Vater, er klang erschöpft und traurig. »Wir brauchen die Untermieter. Jedenfalls in diesem Jahr. Vielleicht wird es im nächsten besser. Vielleicht kann mir dann die Gemeinde mehr Geld zahlen – aber bis dahin? Was willst du denn noch einsparen?«

»Wir könnten den Garten besser bewirtschaften und Gemüse anbauen, wir …«

»Es ist Herbst. Was willst du jetzt noch pflanzen? Selbst wenn, es würde euch erst im nächsten Jahr helfen. Und wer soll die ganze Arbeit übernehmen? Du? Der alte Gärtner? Die Kinder?«, fragte Tante Guste.

»Du würdest also Paula zu dir nehmen wollen?« Vaters Stimme klang plötzlich brüchig.

»Ja, Julius, das würde ich. Werner und ich haben das lange diskutiert. Wir haben so viel Platz. Paula könnte noch ein paar Jahre unbeschwert leben, sich weiterbilden, lernen, Klavier spielen. Wir würden selbstverständlich alle Kosten tragen.«

»Das ist ein sehr großzügiger Vorschlag, Guste.«

»Überlegt es euch einfach. Mehr als anbieten kann ich es nicht.«

»Aber Paula sollte es auch wollen …«, sagte Toni nun. Sie klang mit einem Mal gar nicht mehr so abwehrend.

»Ich rede mit ihr …«

»Nein, das mache ich. Ich muss darüber noch nachdenken. Paula ist meine … kleine Große.« Wehmut lag in Tonis Stimme. »Irgendwann wird sie heiraten und aus dem Haus gehen, das weiß ich, und der Gedanke ist schon schwer genug. Aber schon jetzt? Sie ist noch so jung. Und sie ist doch mein Kind …«

»Sie bleibt ja dein Kind, liebste Toni. Sie wird immer dein Kind bleiben – egal, was kommt. Du bist schließlich auch mit sechzehn ins Lehrerinnenkolleg gezogen. Da warst du nur ein halbes Jahr älter, als Paula jetzt ist.«

»Das waren ganz andere Zeiten damals. Vater war schwer krank, ich war die Älteste und musste zum Einkommen beitragen. Das kann man mit heute nicht vergleichen.«

»Das stimmt«, sagte Julius nun. »Dennoch ist der Vorschlag deiner Schwester etwas, worüber es sich nachzudenken lohnt. Aber nun sollten wir alle einen Schluck trinken, um unsere Nerven ein wenig zu beruhigen.«

Paula hörte, wie sich seine Schritte der Tür näherten, und eilte nach unten.

»Na, ditt is ja n Ding«, sagte Esther lachend. »Ick hab schon jedacht, du kämst jar nich mehr. Kannst de Jläser abtrocknen. Abba schön jründlich, wa?«

»Mach ich, Esther. Tut mir leid, dass ich so spät dran bin.«

»Hauptsache, du bis jetzt da, wa? Wasisn oben los? Klang nach nem richtijen Tohuwabohu. Der olle Meyer is zum Jlück abjereist. War ne fiese Charakter, der Mann.«

Während Paula die Gläser abtrocknete, blickte sie aus dem Fenster in den Garten. Langsam legte sich Dunst auf den Rasen, und die Nacht senkte sich über die Stadt. Jeden Tag wurde es jetzt ein wenig früher dunkel.

Ob sie im Winter noch hier wohnen würde, schoss es Paula plötzlich durch den Kopf, und sie spürte, wie ihr die Tränen kamen. Nicht mehr hier wohnen? Das konnte sie sich nicht vorstellen. Mutter wollte ihr die Entscheidung überlassen – das bedeutete aber auch, dass Mutter sich schon entschieden hatte. Sie würde Paula zu ihrer Schwester geben.

Ausziehen – der Gedanke traf sie plötzlich wie ein Schlag. Sie liebte Tante Guste, aber … bei ihr wohnen? Wie sollte das werden? Die Wohnung in der Lothringer Straße war...