: Philipp Gurt
: Helvetia 1949 Kriminalroman
: Emons Verlag
: 9783960416814
: 1
: CHF 11.60
:
: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 352
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Chur im Visier des Bösen Chur 1949: Während der Festlichkeiten des Eidgenössischen Schützenfestes wird der Stadtpräsident erschossen aufgefunden. Neben ihm liegt die Leiche der besten Schützin der Schweiz. Alles deutet darauf hin, dass sie die Täterin ist, die sich danach selbst gerichtet hat. Doch die Spur führt Landjäger Caminada in die Schlucht am Stadtrand, ins ominöse Quartier Täli, für dessen Bewohner andere Gesetze zu gelten scheinen. Zwischen Altstoffhändlern, Gastarbeitern und Trödlern entdeckt er in einem verruchten Tanzlokal Hinweise, die ihn erschaudern lassen. Dann wird eine weitere Tote im Bergwald der Schlucht gefunden ...

Philipp Gurt wurde 1968 als siebtes von acht Kindern in eine Bergbauernfamilie in Graubünden geboren. Er wuchs in verschiedenen Kinderheimen auf. Früh begann er mit dem Schreiben. Etliche seiner Bücher wurden zu Schweiz-Bestsellern. 2017 erhielt er den Schweizer Autorenpreis. Er lebt in Chur im Kanton Graubünden.

2


Die St. Martinskirche schlug neun Uhr, als durch die östlich gelegenen Fenster des Landjägerkorps die Morgensonne ihre Strahlen warf, während Caminada und Marugg im Arbeitszimmer von Major Kübler an dessen Besprechungstisch hockten.

«Meine Herren, einen solchen Mord können wir fünf Tage vor dem Eidgenössischen wahrlich nicht brauchen. Der im Siebenundvierzig, an dieser Flurina Hassler, hat ja gezeigt, in welchem Durcheinander alles enden kann.»

Der drei Jahre vor seiner Pension stehende Major legte mit strenger Miene den Bericht vor sich auf den Tisch, den Erkennungsfunktionär Marugg trotz kurzer Nacht in aller Herrgottsfrühe verfasst hatte. Dies in drei Durchschlägen und im besten Beamtendeutsch.

«Nun ja», Kübler blickte Caminada, dann Marugg an, «hoffen wir, die Neue Bündner Zeitung bringt es nicht allzu gross. Wind bekommen die ja sowieso davon.» Sein Blick ging wieder zu Caminada. «Walter, was gedenkst du nun zu tun?»

Landjäger Caminada, der als einziger Beamter im Korps weder Schnauz noch Bart trug, im Bubigesicht von Marugg wuchs zu dessen Leidwesen nichts, strich sich übers wohlrasierte Kinn, das nach seinem Rasierwasser Pitralon duftete. Viel geschlafen hatte auch er nicht, doch für einen Kaffee und einen Teller Rösti am Morgen hatte es gereicht. «Es ist auch ohne Bericht von Dr. Bargätzi klar, dass wir wegen Mordes ermitteln müssen.»

«Ja, heiligs Verdiana, ist der denn noch immer nicht bei der Leichenschau? Auf was wartet der? Dass die aufersteht und zu ihm marschiert? Nun ja, Selbstmord wäre mir in dieser Situation allemal lieber gewesen.» Major Kübler zog die dichten Augenbrauen grimmig zusammen, dabei schüttelte er – weil er es nicht fassen konnte – seinen Kopf und fuhr sich mit der Rechten über sein kurz geschnittenes graues Haar. Seine stramme Körperhaltung drückte noch immer den feurigen Militaristen in ihm aus, fand Caminada, als er ihn ansah, und so benahm sich der drahtige Kübler auch, der ausser in der Kirche zu jedem Anlass seine Uniform trug. Er legte sehr grossen Wert darauf, dass sie dabei wie frisch gebürstet aussah: mit der Doppelreihe silberner Knöpfe, die glänzten wie poliert, den goldenen Majorsstreifen in den Achselschlaufen und dem schwarzen Ledergurt.

Major Kübler, der einen nach oben geschwungenen Schnauz trug, den er immer wieder zwirnte, war auch ein glühender Patriot. Er hätte am liebsten gehabt, dass die fünfzehn Mann des Korps in Chur bei jedem Dienstantritt vor der Schweizer- und der Bündnerfahne, die vor dem Gebäude auf dem kleinen Platz wehten, stramm gestanden und zur Landeshymne salutiert hätten. Darüber machten sich die hundertachtzig Landjäger, die auf die hundertfünfzig Talschaften im Kanton verteilt waren, hin und wieder lustig. Letztes Jahr hing deswegen an der Jahresversammlung ein Majorshut auf der Fahnenstange, und ein Apfel lag am Boden, in Anlehnung an den Hut Gesslers und Wilhelm Tell. Humor aber besass Kübler genauso wenig wie Unpünktlichkeit. Er liess deshalb tatsächlich den Fall untersuchen, den Apfel und Hut beschlagnahmen, als wäre ein Verbrechen geschehen. Schnell musste er aber davon Kenntnis nehmen, dass das ganze Korps zusammenhielt und die Spitzbuaba unter ihnen, die dies ausgeheckt hatten, deckten.

<