: Hera Lind
: Die Frau, die frei sein wollte Roman nach einer wahren Geschichte
: Diana Verlag
: 9783641203122
: 1
: CHF 9.90
:
: Romanhafte Biographien
: German
: 432
: DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Selma kommt Anfang der 1960er-Jahre als Gastarbeiterkind mit ihren Eltern und Geschwistern aus der Türkei nach Köln. Sie schwebt im siebten Himmel, als sie sich mit siebzehn mit ihrer großen Liebe Ismet verloben darf. Doch ein zufälliges Zusammentreffen mit Orhan wird ihr zum Verhängnis. Arglos steigt Selma in das Auto des ihr fast unbekannten Mannes - was dann passiert, ist ein einziger Albtraum. Sie verliert ihre Ehre und ihre Freiheit, und das Glück mit Ismet zerplatzt für immer. Sie gehört nun Orhan. Aber Selma gibt nicht auf...

Hera Lind studierte Germanistik, Musik und Theologie und war Sängerin, bevor sie mit zahlreichen Romanen sensationellen Erfolg hatte. Seit einigen Jahren schreibt sie ausschließlich Tatsachenromane, ein Genre, das zu ihrem Markenzeichen geworden ist. Mit diesen Romanen erobert sie immer wieder die SPIEGEL-Bestsellerliste. Hera Lind lebt mit ihrem Mann in Salzburg, wo sie auch gemeinsam Schreibseminare geben.

1

Köln, Sommer 1979

Nebenan parkte ein gelberBMW.

»Baba, kennst du den?« Interessiert beugte ich mich aus dem Schaufenster unserer Lederkleidung- und Jeansboutique, um den tollen Schlitten besser sehen zu können. »Bochumer Kennzeichen«, stellte ich fest. »Was will die Luxuskarosse hier in unserer Straße?«

Vater war mit irgendwelchem Abrechnungskram in seinem Büro im Hinterzimmer beschäftigt. »Wovon redest du, Tochter?«

»Na diese quietschgelbe Karre hab ich hier noch nie gesehen!«

»Keine Ahnung, Selma.« In seiner gut sitzenden Lederjacke und mit seinen grauen Schläfen, die damals der Mode entsprechend mit beachtlichen Koteletten verziert waren, kam er ins Geschäft. Er wirkte irgendwie fahrig.

»Hör zu, Selma, ich muss dringend weg.« Er überreichte mir seinen Ladenschlüssel und kramte nach Autoschlüsseln, Geld und anderen Utensilien, die so ein türkischer Patriarch immer bei sich hat. »Ich muss dich leider alleine lassen, aber ich bin überzeugt, dass du das schaffst. Du hältst hier bis zwei Uhr die Stellung, und wenn ich bis dahin nicht zurück bin, schließt du einfach ab. Die Abrechnung mach ich dann später.«

Verwundert blickte ich meinen Vater an. Es war in unserer Familie und in unserem Kulturkreis eigentlich nicht üblich, dass ein siebzehnjähriges Mädchen allein gelassen wird, und dann noch in einer stark frequentierten Boutique. Ich war bildhübsch, hatte lange schwarz glänzende Haare, große grüne Augen und eine schlanke Figur, die ich mit engen Jeans, einem breiten Ledergürtel und einer weißen Leinenbluse aus eigener Produktion betonte. Wir waren eine moderne türkische Familie, und selbst meine Mutter trug kein Kopftuch.

Mein Vater und seine Brüder hatten sich in den Sechzigerjahren hier im Kölner Raum mit einem Schneideratelier erfolgreich selbstständig gemacht, und in diesen Sommerferien half ich mit aus, weil meine Mutter samt meinen Brüdern in die Türkei gereist war, um meine Hochzeit vorzubereiten! Üblicherweise durfte die Braut bei diesen Gesprächen nicht mit dabei sein.

Ich freute mich wahnsinnig darauf, meine Jugendliebe Ismet zu heiraten, der ganz offiziell mit seinen Eltern bei meiner Mutter und meinem ältesten Bruder Cihan um meine Hand angehalten hatte.

Meine Eltern lebten getrennt, und ich wohnte mit meinen kleinen Brüdern bei meiner Mutter in Hannover, aber damit ich nicht allein und unbeaufsichtigt war, hatte meine Mutter mich für die Ferien zu meinem Vater nach Köln geschickt. Und jetzt das! Er ließ mich in seinem Geschäft allein!

Egal. Vater ging schon lange eigene Wege, hatte immer irgendwelche dringenden Termine – leider auch mit anderen Frauen, woran die Ehe meiner Eltern trotz sechs gemeinsamer Kinder letztlich auch gescheitert war. Bestimmt hatte Baba gerade wieder so eine Dame am Start. Vielleicht hatte sie ja sogar was mit dem schickenBMW zu tun, der vor der Konditorei nebenan auf dem Parkplatz stand? Das würde auch erklären, weshalb er plötzlich so nervös war, der unverbesserliche alte Filou!

»Baba, mach dir keine Sorgen, ich pack das schon.« Ein bisschen den Laden hüten? Das würde ich wohl noch schaffen. Dann konnte ich wenigstens meine Lieblingsmusik hören, und das waren keine türkischen Liebesschnulzen, sondern die neuesten Hits aus