: Jasper Nicolaisen, Chris* Lawaai, Iva Moor, Charline Winter, Iris Leander Villiam, Anna Zabini, Lünn
: Judith C. Vogt, Lena Richter, Heike Knopp-Sullivan
: Queer*Welten 11-2023
: Ach je Verlag
: 9783958695399
: 1
: CHF 3.30
:
: Science Fiction, Fantasy
: German
: 106
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Queer*Welten ist ein halbjährlich erscheinendes queerfeministisches Science-Fiction- und Fantasy-Magazin, das sich zum Ziel gesetzt hat, Kurzgeschichten, Gedichte, Illustrationen und Essaybeiträge zu veröffentlichen, die marginalisierte Erfahrungen und die Geschichten Marginalisierter in einem phantastischen Rahmen sichtbar machen. Außerdem beinhaltet es einen Queertalsbericht mit Rezensionen, Lesetipps, Veranstaltungshinweisen und mehr. In dieser Ausgabe: Mein schönster Hexenprozess von Lünn(Kurzgeschichte) Grüne Herzen von Charline Winter (Kurzgeschichte) Rausfinden vonJasper Nicolaisen(Kurzgeschichte) Das Geheimnis der Puddingteilchen von Chris* Lawaai (Kurzgeschichte) Hans und Gerthold von Iris Leander Villiam (Kurzgeschichte) Ein Mädchen und sein Tod von Anna Zabini (Kurzgeschichte) Magisch-systemische Unordnung: Hexen als disruptives Element in Erzählwelten von Iva Moor (Essay) Der Queertalsbericht 02/2023 Queerfeministische Zaubersprüche von: Jassi Etter, Christian Vogt, Teresa Teske, Amalia Zeichnerin, Jeannie Marschall, kvmw, Alex, Illi Anna Heger

Grüne Herzen

von Charline Winter

Inhaltshinweise

Amatonormativität (gesellschaftliche Ansicht, in der romantische Zweierbeziehungen die Norm darstellen), Beinahe-Klimakatastrophe

Tags

Solarpunk, Hopepunk, Postapokalypse, Androiden, Aromantik, nichtbinäre Hauptfigur

Durch die trüben Scheiben fiel frühes Sonnenlicht auf die mooszerfressenen Fliesen. Marinescu nahm einen Schluck Tee aus der Tasse mit den blauen Rosen und dem Goldrand, ein Geschenk eines besonders dankbaren Androiden, und ließ den Blick über die dreckverschmierten Fenster wandern, an deren Rahmen sich Efeu bis unter die Decke rankte.

Bald würde es Zeit werden, ihn zu stutzen, bevor er das alte Gebäude vollkommen umschlossen hatte und das Licht aussperrte. Es wäre auch ratsam, die Fenster zu putzen, bevor der Winter kam und die klirrende Kälte das Wasser nach wenigen Sekunden zu Eisblumen erstarren lassen würde. Vor allem aber wäre es sinnvoll, sich den Tee für die kalte Zeit aufzusparen – es befand sich nur noch ein kleiner Rest in der Tüte, und wer konnte schon wissen, wann es wieder Nachschub gab. An Aufträgen mangelte es Marinescu zwar nicht, obwohl das hier nur eine kleine Werkstatt war und eine ziemlich abgelegene dazu, aber wer bezahlte in der heutigen Zeit schon mit Tee?

Rückblickend war es beängstigend. Dürren und Überschwemmungen, Seuchen und Waldbrände, Reaktorunfälle und quälende Hitzewellen, das alles war wie selbstverständlich ein Teil von Marinescus Kindheit gewesen. Sie hatten Masken getragen gegen die Erreger und gegen den Qualm und gegen die Sandstürme, hatten in den schlimmsten Sommern die Fenster schon früh am Morgen verriegelt und sich mit nassen Tüchern zugedeckt. Und wäre das Umdenken nicht passiert, wäre mit der Zeit alles nur noch schlimmer geworden.

Marinescu schloss die Augen, um den letzten Schluck Tee mit Geschmack von Bratapfel und Zimt noch intensiver auf der Zunge spüren zu können.Die Natur holt sich zurück, was ihr gehört, das klang wie ein Spruch aus einem alten Katastrophenfilm mit schlechten Effekten. Aber er stimmte. Marinescus Werkstatt war einmal eine Schwimmhalle gewesen, damals, bevor die Stadt aufgegeben und eine neue hinter dem Wald errichtet worden war. Im Laufe der Jahrzehnte hatte sich Efeu bis zum obersten Brett des Sprungturms hinaufgewunden und es vollständig unter seiner Blätterdecke begraben, die Whirlpools und das flache Kinderbecken waren mit Moos überwuchert, und im großen Sportbecken standen die Gräser und Kräuter so hoch, dass ihre Spitzen beinahe bis über den Beckenrand reichten. Am äußeren Rand lag das Beet, auf dem Marinescu Gemüse angepflanzt hatte. Es hätte größer sein können, aber Marinescu nahm sich nur das Nötigste und fand außerdem Gefallen daran, nur eine kleine Fläche zu nutzen. Ganz anders als in der Stadt, in der jedem einzelnen Quadratzentimeter ein Zweck zugewiesen war.

Marinescu saß auf der Kanzel, von der aus einst Kinder ermahnt worden waren, dass sie ihre Pommes Frites nicht im Wasser zu essen und auf den nassen Fliesen gefälligst nicht zu rennen hatten. Jetzt waren die Fliesen zersprungen, geborsten unter dem Druck der Pflanzen, die sich seit Jahren in den Fugen drängten und ihre Wurzeln