Wintertränen
Der ersten Schneeflocke folgte eine zweite und eine dritte. Sanft rieselten sie nieder und lösten sich im Schlamm augenblicklich auf.
Nea ließ Lennox´ leblosen Körper zu Boden gleiten. Starr blieb er liegen und seine Augen blickten hinauf in den grauen Himmel. Noch immer hallten Lennox´ letzte Worte durch die kalte Luft: »Ich liebe dich.«
Mit spitzen Fingern schloss Nea seine Augenlider. Sie scherte sich nicht um das Blut, das aus seinem Körper rann und ihre Arme benetzte.
Ein kalter Hass strömte plötzlich durch ihren Körper. Sie wollte aufspringen und um sich schlagen. Doch sie blieb am Boden. Mit Tränen in den Augen musterte sie Lennox´ Gesicht. Er lag so friedlich da, als würde er schlafen. Der Wind spielte mit seinen schwarzen Haaren, deren Spitzen sich vom Matsch bereits braun verfärbt hatten. Seine Haut war noch so warm, dass die Schneeflocken schmolzen, sobald sie darauf landeten. Doch das würde sich bald ändern.
»Es tut mir leid.«
Wie aus unendlicher Ferne drangen die Worte an ihr Ohr. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte niemand zu sprechen gewagt. Zu groß war das Entsetzen gewesen, als Lennox plötzlich in die Knie gesunken war, die Hände auf die Stichwunde in seinem Bauch gepresst.
»Es tut dir leid?« Mit einem wütenden Aufschrei wirbelte Nea herum und sprang gleichzeitig auf die Beine. Hasserfüllt sah sie Gregor an, der von zwei kräftigen Männern festgehalten wurde und sich kaum regen konnte. Seine Augen blickten tatsächlich entschuldigend, doch das Blut an seinen Händen sprach eine andere Sprache.
»Der einsame Schlachter …«, stammelte er mit trockener Stimme. »Ich hatte keine Wahl.« Auch über seine Wange rann eine Träne.
Nea zuckte zusammen. Sie kannte den einsamen Schlachter. Damals, als alles begonnen hatte. Mit unbarmherziger Wut explodierten die Bilder wieder in ihrem Gedächtnis. Sie sah den Schlachter vor sich, der liebend gern Dämonenschädel als Masken trug. Sie erinnerte sich, dass er versucht hatte, sie zu töten. Doch Lennox hatte sie damals gerettet. Den Leib des Irren durchbohrt, sodass er tot zu Boden gesunken war.
»Es gibt keinen einsamen Schlachter mehr«, flüsterte sie.
Doch Gregor schüttelte traurig den Kopf. »Er lebt. Der einsame Schlachter lebt.«
Wütend ballte Nea ihre Hände zu Fäusten. »Du hast deinen eigenen Bruder getötet! Und jetzt willst du mir erzählen, dass …«
»Er hat mich dazu gezwungen!«, fiel Gregor ihr ins Wort. »Er hat mir das Augenlicht geschenkt unter der Bedingung, dass ich den finsteren Reiter töte. Zu dem Zeitpunkt wusste ich nicht, dass Lennox dieser finstere Reiter ist. Doch ich hatte keine Wahl!«
»Es gibt immer eine Wahl.« Nea wandte sich ab. Es hatte keinen Zweck, mit dem Irren zu diskutieren. Seine Tat bereuen wollte er anscheinend nicht, und seine Worte waren nichts als Lügen. Der einsame Schlachter war längst tot.
»Du kannst es nicht verstehen!«, rief Gregor, doch sie ignorierte seine Worte. Mit pochendem Herzen sah sie sich um. Friedlich und still lag das Schlachtfeld da, eingehüllt in einen Mantel aus immer dichter werdendem Schnee. Die Luft war eisig, und ihr Atem stand in Form einer weißen Wolke vor ihrem Mund.
Zwischen den Ruinen der Stadt verteilt, lagen die reglosen Körper der gefallenen Krieger. Es waren so viele Menschen, die in diesem Kampf ihr Leben gelassen hatten. Zerrissen von den Dämonen.
Irgendwo zwischen ihnen lag auch Constantin. Lennox hatte ihn getötet. Noch immer hatte Nea diese Auseinandersetzung vor Augen.
Schaudernd trat sie an Lennox´ Leichn