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TAG EINS, FREITAG
»DI Lockyer?«
Eine Frauenstimme, dumpf, seltsam vertraut. Eine Sekunde lang glaubte Lockyer, sie zu kennen. Dann Stille am anderen Ende der Leitung, nur ein kaum hörbares Einatmen.
Lockyers Nacken kribbelte. Aus der Fensterscheibe sah ihm sein verschwommenes Spiegelbild entgegen – eine große schlaksige Gestalt mit dunklem Haar, das geschnitten werden musste, einer schiefen Nase und dunklen Ringen unter den Augen. Er musste dringend mal wieder ausschlafen.
»Ja. Mit wem spreche ich?«
»Ich heiße Hedy. Hedy Lambert.«
Lockyer schwieg so lange, dass Constable Broad von ihrem Computer aufsah. Instinktiv wandte er sich von ihrem neugierigen Blick ab.
»H… Miss Lambert.« Er räusperte sich. »Ich … Es ist eine Weile her. Ich habe nicht damit gerechnet, noch einmal von Ihnen zu hören.« Auf seinem Schreibtisch standen drei leere Becher. Er begann, sie zusammenzustellen, indem er die Henkel so drehte, dass er alle gleichzeitig mit einer Hand greifen konnte. Wie ein unruhiges Kind spielte er damit herum. Er musste sich zur Ruhe zwingen.
»Nein.« Hedy holte tief Luft. »Wie geht es Ihnen?«
»Warum rufen Sie an, Miss Lambert?« Sofort bedauerte er, dass er so kurz angebunden war. Erneut Schweigen.
»Was denn, keine Zeit, ein bisschen zu plaudern?«, gab Hedy trocken zurück, aber es lag ein leichtes Zittern in ihrer Stimme. Lockyer wartete. Vielleicht hätte er mehr gesagt, wenn Broad nicht dort gesessen und sich sehr bemüht hätte, so zu tun, als würde sie nicht zuhören. »Sie müssen mich besuchen, Inspector Lockyer.«
»Wozu?«
»Es ist wichtig. Es … es könnte dringend sein. Vielleicht. Es geht um damals. Um Harry Ferris.«
»Haben Sie neue Informationen zu dem Fall?«
»Ja. Aber bevor Sie weiter fragen, ich werde Ihnen das nicht am Telefon sagen. Sie müssen herkommen. Bitte.« Das Bitte klang fast wie ein Flehen, aber nur fast. Lockyer versuchte, neutral zu klingen.
»Ich kann nichts versprechen …« Er suchte zwischen den Papieren und dem Müll auf seinem Schreibtisch nach einem Stift. »Wie lautet Ihre Adresse?«
»MeineAdresse?« Wieder dieser trockene, amüsierte Ton, in dem etwas Dunkles anklang. »Eastwood Park.«
Lockyer biss die Zähne zusammen,DC Broad warf ihm einen Stift zu.HMP – Her Majesty’s Prison – das Gefängnis Ihrer Majestät in Eastwood Park. Vierzehn Jahre waren vergangen – vierzehn Jahre, seit er dafür gesorgt hatte, dass Hedy Lambert eingesperrt worden war. Und sie war immer noch da. Überflüssigerweise schrieb erHMPE Park auf einen Zettel. Irgendwie hatte er gedacht, dass sie inzwischen auf Bewährung entlassen worden sei, aber das war sie natürlich nicht – sie hatte eine Mindeststrafe von zwanzig Jahren erhalten. So viel bekam man für einen kaltblütigen, vorsätzlichen Mord.
»Alles in Ordnung, Chef?«, fragte Broad, nachdem er aufgelegt hatte, und verschränkte die Arme hinter dem Kopf, um ihre Schultern zu dehnen.
Gemma Broad war klein und stämmig, was einige Kollegen