BILDER FRANCESCA WOODMANS SAH ICH ZUM ersten Mal in einem Fotoband, den Linda gekauft und im Wohnzimmer in das Regal mit den Kunstbüchern gestellt hatte. Auf dem Schutzumschlag war eine junge Frau abgebildet, die am Bildrand hockte, das Kinn auf eine Hand gestützt, und mich direkt anstarrte. Die Wand hinter ihr war weiß, aber schäbig, voller Risse und Flecken, und auf dem Holzboden, grob und uneben, lagen abgebröckelter Putz, Staub, abgeblätterte Farbe. Der Blick der Frau war einerseits fragend, andererseits abschätzend. So, so, du siehst mich an? Sie trug ein unifarbenes Kleid mit einem Muster aus kleinen und großen schwarzen Punkten. Oder sagte ihr Blick »ach, mach schon, guck einfach«? In diesen Augen lagen eine Selbstsicherheit und Offenheit, der das Fragende in ihrem Blick eine Grenze setzte.
Ich schlug das Buch auf und blätterte darin. Das erste Bild zeigte eine nackte Frau, sie saß mit gespreizten Beinen, eine Glasscheibe gegen ihren Bauch und den behaarten Schoß gepresst, auf einem schmutzigen Stuhl, den Kopf vorgebeugt, vollständig verdeckt von langen Haaren. Ich blätterte weiter und sah eine Frau, nur mit Strümpfen und Schuhen bekleidet, die mit gespreizten Beinen neben einer Pflanze saß, hängende Brüste, ein bleicher, teigiger Bauch, das Gesicht der trompetengleichen Blüte zugewandt, die Nase beinahe in ihr, die Augen geschlossen. Am rechten Bildrand, neben einem abgeschnittenen Spiegel, hing dasselbe Kleid wie auf dem Umschlagbild. Am linken Bildrand eine durch Feuchtigkeit beschädigte Tür, ganz unten dunkel, als würde sie schon faulen. Ich blätterte weiter, sah ein Bild von einer unscharfen Gestalt, die unter eine Art Möbel gekrochen war, in einem verfallenen Zimmer, in dem die Tapete in Fetzen hing. Das reichte mir, jetzt war es gut, gereizt schlug ich das Buch zu und stellte es fort, erfüllt von etwas, was an Abscheu erinnerte. Dieses Frauenzeug, das mir direkt ins Gesicht geschleudert wurde, ging mir auf die Nerven.
Am ersten Mai dieses Jahres sah ich in New York zum zweiten Mal Bilder von Francesca Woodman. Da hatte ich nicht nur ihre Bilder, sondern auch ihren Namen längst vergessen und verband nichts mit ihm, als Asbjørn vorschlug, ins Guggenheim zu gehen, um sich dort eine Fotoausstellung anzusehen. Asbjørn ist Experte für alles, was in der Welt der Kunst und Literatur vor sich geht, so dass ich wusste, wenn er eine solche Empfehlung aussprach, war die Ausstellung einen Besuch wert. Auf dem Weg dorthin erzählte er mir, sie habe sich mit nur zweiundzwanzig Jahren das Leben genommen. Ich sah eine Sarah Kane-artige Bildwelt vor mir, dunkel und chaotisch und unschön, und meine Lust verflüchtigte sich ein wenig. Dennoch ging ich mit. Jill, Lektorin in dem amerikanischen Verlag, der meine Bücher herausgibt, begleitete uns und sagte, sie habe eine Freundin, die Woodman gekannt habe, und offen für die hohe Qualität und große Bedeutung der Bilder ging ich von Wand zu Wand und starrte sie an. Ein steter Zusammenprall von Körper und Raum. Offenbar seit langem verlassene Räume, darin ein stehender, sitzender, liegender, kriechender oder hängender Körper, häufig nackt, häufig gesichtslos, in mehr oder weniger verdrehten, oft auffallend inszenierten Posen. Sie gaben wenig preis, hingen fast stumm vor mir, waren nur, was sie waren, aber ich sah trotzdem, dass sie mir gefielen, und versuchte, mich der Welle der Begeisterung anzuschließen, mit der die anderen hinterher über die Bilder sprachen. In der Museumsbuchhandlung kau