InhaltsverzeichnisDer zweite Tag
Nicht einer, nein, alle.
Alle setzten ihm nach, waren hinter ihm her. Menhire. Hunderte meterhohe Steinmonster, lebendig, schnell, wendig. Mit einem einzigen Ziel: Sie trachteten nach seinem Leben. Er hatte sich eines Verbrechens schuldig gemacht, er hatte nicht an sie geglaubt. Und es war die Wahrheit, ihre Anschuldigungen waren ganz und gar gerechtfertigt.
Sie hatten ihn eingekreist. Von allen Seiten der Insel waren sie aufgebrochen, vorgerückt, er hatte zu entkommen versucht, doch überall war wieder einer aufgetaucht. Oder eine.Jeans undJeannes. Sie hatten den Kreis enger und enger gezogen. Nun gaben sie eine Art tiefes Blöken von sich. Markerschütternd. Und allein schon eine Folter.
Es gab kein Entrinnen. Auch keinen Kampf. Keine Tricks. Keine Superkräfte. Nur das Zerquetschtwerden. Ein übernatürlicher Chor hob an, er war deutlich zu verstehen: »Wir sind es, dieAcadiens, dieAcadiens, dieAcadiens …«, in endloser Wiederholung. Ein existenzieller Schauder überlief ihn. Bald spürte er die Kälte und Härte des nackten Gesteins an seinen Armen, die er schützend um sich geschlungen hatte. Es ging unausweichlich dem Ende zu, als plötzlich ein sphärisches, ja kosmisches Brummen einsetzte. Und siehe da: Die Steine verharrten und verstummten, um sich dann mit einem Mal zurückzuziehen und ihn freizugeben. Im nächsten Moment waren sie verschwunden, als hätten sie sich in Luft aufgelöst. Nur das tiefe, eigentümliche Brummen blieb. Und wurde noch lauter. Dupin hielt sich die Ohren zu, mit aller Kraft, immer verzweifelter.
Dann wachte er auf.
Es dauerte einen Augenblick, ehe Dupin die grundlegenden Aspekte der Realität sortiert bekam. Was vor allem hieß: das Brummen. Denn es brummte weiter. Und entstammte, wie er langsam begriff, der diesseitigen Wirklichkeit. Es war ein Schiff, eindeutig. Ein großes Schiff.
Das Brummen hatte ihn geweckt. Gerettet.
Er setzte sich auf und blickte aus dem Fenster. Noch war es dunkel, aber schon nicht mehr tiefe Nacht, ein allererstes, zaghaftes Dämmern hatte im Osten eingesetzt. Über dem Horizont. Ein Vordämmern. Das Licht schlich sich ein. Ein silbriges Licht, das jetzt mehr und mehr den Himmel übernahm.
Dupin warf einen Blick auf seine Uhr: 6 Uhr 17. Zu spät, um noch weiterzuschlafen. Er würde duschen und aufbrechen. Und, wie geplant, etwas Zeit für sich haben.
Um 6 Uhr 55 betrat er dasTilleul.
Er gab seine Bestellung an der Theke auf: zweipetits cafés, zwei Croissants. Es war ein einfaches, nettes Café, die Fassade himmelblau gestrichen, eine Terrasse auf dem Platz vor der Dorfkirche, mit Blick auf die Bucht und den Hafen. Die Terrasse war noch verwaist, nur drinnen saßen schon ein paar Gestalten, Hafenarbeiter, wie es aussah. Der ganze Ort war wie leer gefegt, das Leben hatte noch nicht begonnen. Bis auf die Geräusche, die aus der Bar drangen, und die Schreie der koketten Möwen über dem Hafenbecken, herrschte vollkommene Ruhe. Die Ruhe, die es nur am Meer gab, das allen unwesentlichen Lärm großzügig verschluckte. Dupin mochte die besondere Stimmung des frühen Morgens, die Welt im Erwachen.
»Voilà.«
Ein junger, übernächtigt aussehender Mann in einem weißen T-Shirt stellte diecafés<