Kapitel 1
Manchmal träumte ich von Blut. Von Blut an meinen Händen und von leeren Augen in einem grauen, bleichen Gesicht. Es war nicht mein Blut oder welches, das ich vergossen hätte – auch wenn es davon in diesem Traum mehr als genug gab. Es war ihr Blut, und ich wusste nicht einmal, wer sie war.
Ihre Augen waren tot und blau, und ihre Hände hielt sie vor sich, als streckte sie die Arme nach jemandem aus, als hätte sie mich angefleht, bevor ihr jemand diese klaffende Wunde an der Kehle beigebracht hatte. Ich wusste nicht, warum. Ich wusste nicht einmal genau, ob es ein Traum war oder etwas, das Andernorts passiert war, bevor ich mit Peter weggegangen war.
Wenn es dieses Mädchen wirklich gab, dann musste es dort geschehen sein, denn auf der Insel gab es keine Mädchen, abgesehen von den Meerjungfrauen, und die zählten nicht wirklich, halbe Fische, die sie waren.
Dennoch – jede Nacht träumte ich von aufblitzendem Silber und strömendem Rot, und manchmal schreckte ich aus dem Schlaf hoch und manchmal nicht. In jener Nacht hatte ich denselben Traum, aber jemand anderes weckte mich auf.
Ich hörte ein Geräusch, vielleicht einen Schrei, vielleicht auch nur ein Stöhnen oder einen Vogel, der draußen im Wald verschlafen piepste. Es war schwierig zu sagen, es ist immer schwierig zu sagen, wenn man etwas hört, während man schläft. Es war, wie Lärm von einem weit entfernten Berg zu vernehmen.
Ich löste mich nicht ungern aus dem Traum. Sooft Peter mir auch gesagt hatte, dass ich ihn vergessen solle, kehrten meine Gedanken doch immer wieder und wieder an denselben Ort zurück: an den Ort, wo sie tot war und ihre Augen mich um etwas anflehten, auch wenn ich nicht wusste, was das sein sollte.
Ich war sofort hellwach, wie immer, denn wenn man im Wald zu fest schlief, lief man Gefahr, eines Tages aufzuwachen und zu entdecken, dass irgendwas mit scharfen Zähnen gerade dabei war, einem die Füße abzubeißen. Unser Baum stand gut versteckt und geschützt, aber das bedeutete nicht, dass hier keine Gefahr drohte. Auf der Insel drohte immer und überall Gefahr.
Die schlafenden Jungen lagen in Haufen unter ihre Tierfelle gekuschelt auf dem Erdboden. Mondlicht drang durch die Löcher, die wir wie Fenster in den hohlen Baumstamm gehauen hatten – Peter und ich hatten das gemacht, vor sehr langer Zeit. Draußen summte es, das stetige Brummen der Vieläugigen aus der Ebene, das bis hierher in den Wald zu hören war.
»Das war nur Charlie«, murmelte Peter verächtlich von oben.
Er saß lässig in einem der Löcher und blickte gleichmütig über die Baumwipfel hinweg in den Wald. In den Händen hielt er ein kleines Messer und ein Stück Holz, an dem er herumschnitzte. Die Klinge blitzte im Mondlicht auf, tanzte über das Holz. Seine Haut wirkte in diesem Licht ganz silbrig, und seine Augen waren wie tiefe Teiche aus Schatten. Er schien eins zu sein mit dem Baum und dem Mond und dem Wind, der durch das hohe Gras weiter draußen flüsterte.
Peter schlief nicht viel, und wenn, dann machte er nur ein kurzes Nickerchen. Er wollte nicht zu viel Lebenszeit mit Schlafen verschwenden, obwohl sein Leben bereits wesentlich länger dauerte als das der meisten Menschen, und er hasste es, wie wir anderen uns der Müdigkeit ergaben, wenn wir umfielen wie die Beißfliegen in der Sommerhitze und uns hinlegten, während er uns piesackte, um uns wenigstens noch ein weiteres Spiel abzutrotzen.
Ich stand auf und schlich auf Zehenspitzen zu den anderen Jungen hinüber, bis ich Charlie fand. Er lag zusammengerollt in einer gewundenen Baumwurzel wie ein Baby in der Wiege. Er war ja auch kaum älter als ein Baby. Auf seinem Gesicht standen Schweißperlen, die wie Edelsteine glitzerten, wie ein Piratenschatz im Mondlicht. Er stöhnte im Schlaf und bewegte sich unruhig.
Die Kleinen hatten es oft schwer, sich einzugewöhnen, wenn sie neu herüberkamen. Charlie war erst fünf, viel jünger, als ich damals gewesen war, als Peter mich geholt hatte. Viel jünger als alle anderen Jung