2: Im Strahlengewitter
Die Wohnung einer Lehrerin im Allgäu war dem Richtstrahl einer Mobilfunkantenne im Weg. Die junge Frau fühlte sich konstant unwohl, und am Arbeitsplatz wurde es sogar noch schlimmer. Das konnte nur an den Leuchtstoffröhren liegen, vermutete sie. Schließlich musste die Lehrerin sich krank melden, verließ ihre Wohnung und zog aufs Land, wo die Beschwerden sofort wie weggeblasen waren. Dass ein Physikprofessor im privaten Kreis diese Geschichte zum Besten gab, verleiht ihr Bedeutung.
Qualen durch Strahlen
Nicht nur beständige Exposition, sondern auch „Ereignisse mit hoher Strahlung“ könnten das Syndrom der Elektro-Hypersensibilität auslösen, meint der Engländer Albert Budden, und so ein „Major Electrical Event“ wäre früh im Leben ein Blitz- oder Stromschlag, der jemanden plötzlich und massiv hohen elektromagnetischen Feldstärken aussetzt und den Körper für immer sensibel für Strahlung macht. Die Sensibilität ist noch stärker, wenn das Elektro-Ereignis bereits bestehende Allergien neu entzündet und den Körper überlädt.
In einer deutschen Studie von 2009 fand man in einer normalen Kontrollgruppe von 107 Teilnehmern 17% Tinnitus-Leidende, doch in einer Gruppe von 89 Elektrosensiblen waren es über 50%. Das führte zu dem Schluss, dass ein „überaktiviertes kortikales Stress-Netzwerk“ sowohl für Tinnitus als auch für Elektrosensibilität verantwortlich sei, die erst in der 1980er-Jahren aufkam.
Michael Shallis an der Universität Oxford untersuchte 600 Menschen mit Elektro-Hypersensibilität. Er stellte fest, dass Frauen häufiger davon betroffen sind als Männer, und dass 23% seiner Versuchspersonen irgendwann vom Blitz getroffen worden waren. Ein sechzig Jahre alter Geschäftsmann, dessen Fall Wolfgang Maes vorstellte49, wurde nach zwei Herzinfarkten elektrosensibel; die elektrischen Schocks, die ihn wieder ins Leben zurückholten, wobei der Körper sich aufbäumt und auch Verbrennungen entstehen, verschafften ihm ein Elektro-Trauma. Seine Lebenswelt musste gut gegen Strahlen abgeschirmt werden, dann konnte er normal weiterleben.
Die Betroffenen fühlen sich krank, wenn sie sich elektromagnetischer Strahlung ausgesetzt wissen. Schon eine laufende Waschmaschine oder ein Mensch am Handy kann ihre Symptome auslösen, die von Müdigkeit, Kopfschmerzen, Panikattacken, Schlaf- und Konzentrationsstörungen und Gedächtnislücken bis hin zu Hautausschlägen, Verdauungsproblemen und Ohrgeräuschen reichen.
1997 wurden in der Region Stockholm 15.000 Menschen zwischen neunzehn und achtzig Jahren befragt, ob sie sich von elektromagnetischer Strahlung bedrängt fühlten. 1,5% bejahten, und meist waren es Frauen im Alter zwischen sechzig und neunundsechzig Jahren. In Kalifornien beschrieben sich im Jahr darauf 3% von 2000 Bürgern als „allergisch oder sensibel in der Nähe von elektrischen Einrichtungen“.50 Der Baubiologe Maes schätzt, dass in Deutschland sogar 5% der Bevölkerung elektrosensibel sind.
Elektrosensibel kann man nur sein, weil der Mensch „elektrosensitiv“ ist: Elektrische und magnetische Felder werden von ihm bewusst und