Das Wasser kommt
Frankfurt,14. Februar1853
»Das Eis bricht. Die Fischer sagen, heute Abend noch bricht das Eis«, rief Friedrich. Die Ladenglocke bimmelte laut, als er die Tür aufriss und sie so heftig hinter sich ins Schloss fallen ließ, dass die Schaufenster klirrten. Friederike, die im Laden hinter der Theke stand und gerade dabei war, die Tageseinnahmen ins Kassenbuch zu übertragen, ließ die Feder sinken.
»Bist du sicher?«, fragte sie ihren Sohn ungläubig. »Vor kurzem sind die Leute doch noch Schlittschuh gelaufen.«
»Ja, aber das sei leichtsinnig gewesen, sagen jetzt alle. Und dass es heute Nachmittag zwölf Grad warm war.«
Das stimmte natürlich, heute war es wirklich außergewöhnlich warm gewesen für einen Tag Mitte Februar. Das regnerische und dabei sehr milde Wetter war auf eine wochenlang andauernde Kälteperiode gefolgt. Der Main war so dick zugefroren wie schon lange nicht mehr – und ein Aufbrechen des Eises konnte durchaus, das wussten die Frankfurter aus leidvoller Erfahrung, Hochwasser mit sich bringen.
Sollte es in diesem Jahr wirklich wieder so weit sein? Friederike hatte es nicht wahrhaben wollen. Sie hatte jeden Gedanken daran weit von sich geschoben, dass ihre Lager im Saalhof unten am Main und im Haus Limpurg am Römer in Gefahr sein könnten, doch nun konnte sie es nicht länger ignorieren. Sie verstaute das Kassenbuch unter der Theke, war aber immer noch ein bisschen zögerlich, und das nicht nur aus Furcht vor dem, was ihnen möglicherweise bevorstand. Es war erst halb fünf, eigentlich zu früh, um den Laden zu schließen.
Ihr Prokurist Herr Besthorn kam gedankenversunken aus dem Kontor nach vorne in den Laden. Er war ziemlich schwerhörig und hatte noch gar nicht bemerkt, dass draußen etwas vor sich ging.
»Fritz sagt, der Main geht auf«, wandte Friederike sich dem Prokuristen zu, wobei sie die Worte betont deutlich aussprach, aber dennoch keine Reaktion bekam.
»Der Main, Herr Besthorn. Die Fischer sagen, heute geht er auf«, rief nun auch Friedrich.
Jetzt hatte Besthorn verstanden, doch er winkte ab. »Ach was, die Fischer reden viel, wenn der Tag lang ist. Die wollen sich nur wichtigmachen.«
»Das glaub ich nicht. Die haben alle große Angst um ihre Boote.«
»Vielleicht sind ja die Boote in Gefahr. Aber uns macht das wenig. Wozu hat man wohl die Ufer höhergelegt? Der Stadtbaumeister hat mir erst vor ein paar Tagen versichert, dass ein Hochwasser sehr unwahrscheinlich ist. Mit dem Abreißen des Fahrtors und dem Aufbau der neuen Befestigungen hat man mindestens fünf Fuß an Höhe gewonnen. Das sollte doch wohl ausreichend sein.«
Aber Friedrich ließ sich davon nicht beeindrucken. »Komm mit, Mama, und schau es dir selbst an«, wandte er sich nun wieder an seine Mutter. »Dieses Knacken und Knirschen und Gurgeln ist gruselig. So was hab ich noch nie gehört.«
Bestürzt betrachtete Friederike ihren vierzehnjährigen Sohn, der mit geröteten Wangen vor ihr stand. Er musste vom Main bis hierherauf gerannt sein, er war noch immer außer Atem. Entschlossen zog sie sich die Schürze aus.
»Du hast recht, Friedrich, ich werde es mir selbst ansehen. Herr Besthorn, behalten Sie bitte den Laden im Blick? Und falls wir unser Lager im Saalhof wirklich ausräumen müssen, darf ich doch gewiss auf Sie zählen?«
»Selbstverständlich«, erwiderte Besthorn. Der Prokurist war jetzt Mitte sechzig und hatte sein schlohweißes Haar auf dem Oberkopf zu einer Art Hahnenkamm frisiert, der sich nun zusammen mit seiner gesamten Figur aufzurichten schien. »Aber ich glaube wirklich nicht, dass das nötig sein wird, Frau Ronnefeldt. Immerhin hat die Aufschüttung und Verbreiterung des Mainufers das Stadtsäckel um Tausende erleichtert. Tausende! Die werden ja wohl nicht umsonst gewesen sein.«
»Das Eis ist in diesem Jahr wirklich außergewöhnlich dick«, erinnerte Friederike ihn. Sie hatte ihren Mantel