: H. R. F. Keating
: Inspector Ghote hört auf sein Herz Kriminalroman. Ein Inspector-Ghote-Krimi (3)
: Unionsverlag
: 9783293303737
: 1
: CHF 7.30
:
: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 192
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Kindesentführung in Bombay. »Keine Polizei!«, fordern die Erpresser. Aber weil Detective Inspector Ghote so unauffällig und gar nicht wie ein Polizeibeamter aussieht, wird er in die elegante Penthousewohnung des reichen Fabrikanten Manibhai Desai geschickt, um dabeizusein, wenn die Kidnapper anrufen. Da stellt sich heraus, dass die Entführer das falsche Kind erwischt haben: Desais Sohn hatte mit Pidku, dem Sohn des Schneiders, im Spiel die Kleider getauscht. Wird Desai trotzdem bezahlen? Und was werden die Verbrecher tun, wenn sie ihren Irrtum entdecken? Ein fünfjähriger Junge, Sohn eines armen Schneiders, bringt keine Rupie ein, sondern ist nur hinderlich, ja gefährlich ...

H(enry) R(eymond) F(itzwalter) Keating, geboren 1926, war gelernter Rundfunktechniker, wurde dann Journalist und schließlich freier Schriftsteller. Fünfzehn Jahre lang war er der Krimi-Kritiker der Times und blieb zeitlebens eine der großen Autoritäten auf diesem Gebiet. Für seine Romane um den bescheidenen Inspector Ghote aus Bombay, der sich mit den Reichen und Mächtigen anlegt, wurde Keating mehrfach ausgezeichnet; für sein Gesamtwerk erhielt er 1996 den Cartier Diamond Dagger. Er starb 2011 in London.

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Inspector Ganesh Ghote warf rasch einen Blick über die Schulter. Nie_mand. Soweit er es feststellen konnte, war niemand in der Nähe, der ihn kannte. Das war der richtige Moment.

»Sahib, Sahib«, rief der neue junge Bettler an der anderen Seite der Treppe des Polizeipräsidiums Bombay. »Du bist mein Vater und meine Mutter. Gib mir, Sahib, gib!«

Und trotz des flehenden Tonfalls lag ein klein wenig Frechheit in der Stimme, eine glückliche Gewissheit.

Ghote ging ein paar Schritte über das Pflaster zur Treppe und blieb bei dem Jungen stehen. Er blickte auf ihn herab und sah jede Einzelheit des verkümmerten rechten Beins, das lang ausgestreckt auf den staubigen Kopfsteinen lag. Es war wie ein kleiner Ast eines toten Baums, glänzend von vielen achtlosen Verletzungen der Haut. Ein Etwas ohne Funktion.

»Warum sollte ich dir etwas geben?«, sagte er zu dem ihm zugewandten Gesicht. »Viele haben dir schon was gegeben, und es ist noch früh am Tag.«

»Sahib, keiner hat was gegeben, keiner. Du bist mein Vater und …«

»Unsinn. Ich kann sehen, dass du auf den Münzen sitzt.«

Ganz unvermittelt grinste der Junge, keineswegs eingeschüchtert, seine lachenden Augen glänzten vor Freude.

Ghote schob die Hand in die Hosentasche und tastete mit schweißnassen Fingern nach dem welligen Rand des Zwei-Paista-Stücks, das er eigens für diesen Zweck eingesteckt hatte. Er konnte der Lebendigkeit des Jungen nicht widerstehen, konnte ihr seit sechs Wochen nicht widerstehen, seit der Bursche den Platz seines verstorbenen Vorgängers übernommen hatte. Er zog die Münze heraus und drückte sie hastig und heimlich in die magere, harte, erwartungsvolle Hand des Jungen. Jetzt wars getan.

Von einer Last befreit, wandte er sich rasch ab und wollte die Treppe hinaufrennen.

»Oh. Da ist Ghote. Inspector Ghote.«

Kalter Schrecken ließ ihn erstarren. Ertappt. Entdeckt. Ein klar denkender Inspector des CID von Bombay dabei erwischt, wie er sich von einem Bettlerjungen einwickeln lässt.

Langsam drehte er sich um.

Und es war schlimmer, viel schlimmer als alles, was er sich hätte ausmalen können. Der Mann,