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Castel schob einen Kaugummi in den Mund, zerknüllte das Papier und ließ es in der Jeanstasche verschwinden. Sie schob die Pilotenbrille ins Haar, das sie inzwischen halblang trug. Der etwas femininere Touch gefiel ihr gut. Sie hatte genug von dem Tomboy-Schnitt der vergangenen Jahre. Die alten Chucks trug sie aber immer noch. Ebenso das schlichte, helle Longshirt mit der Knopfleiste. Die Ärmel waren hochgeschoben. Über dem rechten hatte sie die signalrote Binde mit der Aufschrift »Police« befestigt.
An der linken Hand trug sie einen silbernen Chronographen mit Metallarmband, der das arabische Tattoo auf der Innenseite des Handgelenks verdeckte. Sie hatte keine Lust mehr, ständig darauf angesprochen zu werden. Ihr war nichts Besseres eingefallen, als es mit einer fetten Uhr zu verdecken. Der Zeitanzeiger hatte ihrem Kollegen Alain Theroux Respekt eingeflößt, der auf solche Dinge abfuhr. Er stand drüben bei den anderen Polizisten und trug ebenfalls eine Armbinde, außerdem eines dieser Hemden mit zahllosen Aufnähern, die Anfang des neuen Jahrtausends einmal modern gewesen waren. Gerade ließ er sich irgendetwas erklären, wozu er sich Notizen machte.
Castel rollte den Kaugummi von der einen Backe zur anderen, kickte einen Stein zur Seite und schob die Hände in die Gesäßtaschen der Jeans. Sie sah nach links, nach rechts, drehte sich um die eigene Achse und ließ den Blick über ein Weinfeld schweifen, das an die ihr gegenüberliegende Straßenseite angrenzte. Hinter ihr ging es hangaufwärts. Rechts führte die voll gesperrte Straße nach Saint-Pierre, links ging es nach Mormoiron. Vor ihr auf dem Asphalt lagen das Rennrad und sein Fahrer in einer getrockneten Blutlache.
Die Spurensicherung untersuchte das Umfeld, während der Fundort bereits wieder freigegeben war und die Rechtsmedizin ihre Arbeit verrichtete. Berthe und ihr Team waren aus Nîmes gekommen, um das Offensichtliche zu bestätigen: Ein Radfahrer war getötet worden, und zwar durch einen seitlichen Schuss in den Kopf. Gemäß der Ausrichtung des Körpers und des Fahrrads war der Mann, den Cat auf Mitte sechzig schätzte, auf dem Weg nach Saint-Pierre gewesen. Was bedeutete, dass der Schütze wohl aus Richtung des Weinfeldes geschossen haben musste.
Es war noch völlig unklar, ob er ein Gewehr oder eine Pistole benutzt oder womöglich sogar aus einem fahrenden Auto geschossen hatte – zum Beispiel aus der Gegenrichtung kommend oder bei einem Überholvorgang.
Die Leiche war von einem Lkw-Fahrer entdeckt worden, der zunächst von einem Unfall mit Fahrerflucht ausgegangen war. Aber vor Ort hatte die Gendarmerie sehr schnell gesehen, dass der Radfahrer erschossen worden war, eine entsprechende Meldung abgesetzt und die Straße abgesichert. Schließlich waren Castel und Theroux angerückt, die sich eigentlich gerade mit einer Einbruchsserie in leer stehende Ferienhäuser befassten und zu einigen Zeugenbefragungen aufbrechen wollten. Aber das musste nun warten.
Castel machte mit dem Kaugummi eine Blase, ließ sie platzen. Theroux war mit seiner Unterhaltung fertig und kam herüber. Obwohl er eine übergroße Sonnenbrille mit goldglänzendem Gestell trug, war ihm der Schlafmangel anzusehen. Er war kürzlich erneut Vater geworden. Die Belastung setzte ihm offensichtlich zu. Die Kleine trug den Namen Valerie. Castel erinnerte sich gut daran, wie Theroux freudestrahlend bei der Hochzeitsfeier der Leclercs aufgetaucht war und die frohe Botschaft verkündet hatte.
Heute Morgen hatte Alain bereits sein Leid darüber geklagt, dass Valerie Verdauungsstörungen habe und die Nächte die Hölle waren. Zu allem Überfluss hatte sich auch noch sein Sohn beim Skateboardfahren vorgestern das Schienbein gebrochen, und außerdem war zu Hause die Klimaanlage ausgefallen, was bei dieser Gluthitze kein Vergnügen war.
Thero