: Ivonne Hübner
: Im Land der Sümpfe Eine Liebesgeschichte aus dem Mittelalter
: Dryas Verlag
: 9783941408098
: 1
: CHF 6.40
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: Erzählende Literatur
: German
: 528
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
12. Jahrhundert - Die Hochzeit von Fjäder und Erik steht kurz bevor. Doch dazu kommt es nicht: Christliche Kreuzfahrer wollen das heidnische Volk der Wenden bekehren, ihr Kampf zerstört die heile Welt der Siedler an den Seen der Uckermark. Die Liebenden werden getrennt, Fjäder landet als Arbeiterin im Kloster von Parduin, Erik als Sklave in Magdeburg. Beide glauben nicht an den Tod des anderen und eine verzweifelte Suche beginnt. Eine romantische Liebesgeschichte vor dem Hintergrund des einzigen innerdeutschen Kreuzzugs.

Ivonne Hübner, am 29.12.1977 in der niederschlesischen Oberlausitz geboren, studierte in Leipzig Germanistik, Kunstpädagogik und Erziehungswissenschaften. Seit 2008 arbeitet sie als Gymnasiallehrerin für Deutsch und Kunst in Potsdam, wo sie mit ihrer Familie lebt. Mehr zur Autorin und Ihren Büchern finden Sie im Internet unter huebner.dryas.de

Prolog


Sommer 1147


Erik wurde nicht von Sonnenstrahlen geweckt. Nicht von Janno, der mit seinem Spielzeug um sich warf, und nicht von Drago, der sich breitmachte, sondern vom Horn des Kriegers Arndis.

Erik lag auf der Seite, wie er es die ganze Nacht getan hatte. Fjäders Rücken an seiner Brust, ihr Gesäß zwischen seinen Beinen.

Der Klang des Horns erschallte weitüber den Wall der Burg, weitüber den Oberuckersee. Es war nicht der Ruf eines Mannes, der zu einem Fest, sondern der eines Kriegers, der zum Aufbruch in die Schlacht rief.

Erik fragte sich, wer jenseits der Ringburg lauerte, jetzt das Horn Arndis’ hörte und ebenso vor Anspannung erstarrte wie er selbst. Die Siedlung seines Volkes am jenseitigen Ufer des Oberuckersees lag verlassen da. Sie waren vor Tagen dem Ruf des Ukranenfürsten Kn?z Luka? gefolgt. Es waren wenige Tage gewesen, die sich wie Monate anfühlten.

Janno begann zu schreien. Jurena setzte sich auf. Ihre müden Augen begegneten Eriks Blick. Sie schaute zu Fjäder, ihrer Tochter, und wieder zu Erik. Fjäder rührte sich nicht. Erik sah, dass sie vor sich hinstarrte.

Jurena legte den weinenden Jungen an die Brust. Er beruhigte sich sofort. Fjäder, Bronja, Sybila, Drago und Fran räkelten sich, aber niemand in der Hütte sagte etwas. Arndis’ Horn ertönte abermals. Wie eine Stele lag Fjäder da. Ihr Gesicht war blass wie Birkenrinde. Sie hatte es geahnt. Nun war es so weit.

Zwischen den Hütten des inneren Zirkels versammelten sich die Menschen. Die waffenfähigen Männer legten ihre Rüstungen an, schnallten die Wehrgehänge um ihre Hüften, schultertenÄxte, ließen ihre Faustschilde neben ihren Beinen baumeln. Sie hielten die Schlachtenhammer und Streitkolben umklammert, nicht kampfbereit, sondern müde. Die Kriegsfahnen der vier Himmelsrichtungen zuckten aufgeregt auf dem Wehrgang der Burg.Živas1 auf Leinen gemaltes Gesicht war zerknittert.

Drago, Eriks jüngerer Bruder, wich ihm nicht von der Seite, während Erik in dem Getümmel nach Wladock oder irgendeiner Seele suchte, die Nachtwache gehalten hatte und ihm etwas würde sagen können. Er fand ihn auch. Auf Wladocks Hüfte saß die plärrende Wanja. In Wladocks Arm lag Bronja, Eriks Schwester. Sie weinte leise und zerrte den neunjährigen Drago an sich, der ganz verunsichert dreinschaute.

Hier wusste niemand nichts und alle dasselbe. Bronja fand in Fjäder eine verständnisvolle Trösterin. In einem Arm die krakeelende Wanja, im anderen die schluchzende Bronja machte Fjäder nicht den Eindruck, als dächte sie vielüber ihren eigenen Schmerz nach.

Arndis’ röhrendes Horn und die dröhnende Pauke des Potzlower Helmslaw zogen jetzt die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich. Erik sah Kasimir, den Späher, beim Fürsten Kn?z Luca?, dem Priester Attala und dem Krieger Arndis stehen. Sie warteten auf Stille im kreisrunden Burghof.

„Malchow am Tollensesee ging vergangene Nacht in Flammen auf.” Der Fürst hatte eine Ehrfurcht gebietende Stimme.

Das Holz des Ringwalls, an dem sie widerhallte, verlieh ihr etwas Dunkles, beinahe Furchteinflößendes.„Es hat sich keine einzige Tollenser Seele retten können.”

Erik spürte Fjäders Hand in der seinen.

„Der Tempel desRadigast2 ist entehrt und dem Erdboden gleichgemacht.”

Fjäders Finger, die zwischen die seinen glitten.

„Das Kreuzfahrerheer hat sich geteilt, und ein Zug von etwa dreitausend Christen ist auf dem Weg nach Brenszla.”

Ihr Daumen, der seine Handfläche streichelte.

„Wir, das heißt Arndis, Helmslaw und ich, werden nun die Truppen derer zusammenstellen, die mit hinausgehen, und derer, die hier Wache halten.”

Aber bevor Kn?z Luca? und die Krieger Arndis und Helmslaw das taten, verlangten sie von den Frauen, Kindern und Greisen, sich in die Hütten zurückzuziehen. Niemand rührte sich vom Fleck. Fjäders Händedruck wurde fester. Nicht eine Ehefrau, Tochter, Schwester oder Mutter, nicht einer der alten Menschen, die mehr gesehen hatten als Kn?z Luca?, Helmslaw oder Arndis mit seinen fünfunddreißig Jahren. Niemand wich von der Stelle. Eriks Finger knackten.

Arndis begann nun die Männer aufzurufen, die sich in den verschiedenen Himmelsrichtungen in bestimmte Stellungen begeben sollten. Man