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Rory
Gegenwart
Mein Leben ist gefangen in einer wunderschönen runden Schneekugel.
Eine, die seit Jahren niemand mehr aus dem staubigen Regal geholt hat. Unerschütterlich steht sie da. Ruhig und still. Von außen sieht das darin eingeschlossene gepflegte Schweizer Dorf perfekt aus. Und das ist es auch. Irgendwie. Mit sechsundzwanzig scheine ich mein Leben im Griff zu haben.
Perfekter Job.
Perfekte Wohnung.
Perfekte Mitbewohnerin.
Perfekter Freund.
PerfekteLügen.
Nun ja, es sind keine Lügen per se. All meine Errungenschaften sind echt. Ich habe hart für sie gearbeitet. Das Problem ist nur, dass ich vor acht Jahren versprochen habe, sie alle von einem Augenblick auf den nächsten aufzugeben, sollte ichihm erneut begegnen. Aber damals war ich nicht dieselbe Person, die ich heute bin.
Ich war verloren. Habe getrauert. War gebrochen. Verwirrt.
Nicht, dass das wichtig wäre, denn damals war damals und heute ist heute, und es ist nichter, den ich anstarre. Nope. Auf keinen Fall.
Nicht er.
… warum kann ich meinen Blick dann nicht von dem mysteriösen Fremden lösen, der durch die Türen des Ballsaals desThe Beerchman Hotels geht und dabei die Blicke aller auf sich zieht?
Gerötete, vom unbarmherzigen Winter gezeichnete Wangen, ein aristokratisches, kantiges Kinn, eine römische Nase und Lippen, die für die dunkelsten Sünden und die schmutzigsten Vergnügen gemacht sind – alles eingerahmt von zerzaustem kohlschwarzen Haar, das sich an den Ohren in tausend verschiedene Richtungen kräuselt. Seine mandelförmigen, grüblerischen Augen, seine breiten Schultern und die schmalen Hüften lassen ihn mehr als nur gut aussehen. Er ist perfekt.Zu perfekt.
Wie bei allen grausamen Märchenprinzen sehne ich mich danach, etwas zu entdecken, das auf seine Unsterblichkeit, auf seine fehlende Menschlichkeit hinweist. Etwas, das beweisen würde, dass seine Vollkommenheit wirklich ein Ding der Unmöglichkeit ist.
Spitz zulaufende Ohren. Lange Reißzähne. Ein kleiner Schwanz.
Komm schon, Gott, gib mir etwas, womit ich arbeiten kann. Irgendetwas.
Er ist groß, aber nicht groß genug, um besonders hervorzustechen. Nein, Malachy Doherty braucht keine außergewöhnliche Statur, schicke Kleidung oder Millionen auf dem Konto, um die ehrfürchtige Bewunderung zu rechtfertigen, die er bei den Menschen auslöst. Allein seine Existenz reicht aus, um Frauen in die Knie zu zwingen. Ich habe es damals erkannt. Ich erkenne es heute.
Die Aufmerksamkeit aller auf dem Ball Anwesenden ist auf diesen rätselhaften Mann gerichtet, so auch meine.
Hör auf, Rory. Er ist es nicht.
Wenn ich nur seine Augen sehen könnte. Dann könnte ich dem Ganzen ein Ende bereiten, endlich gewiss sein. Niemand sonst hat diese Augen. Ein seltener violetter Farbton, wie zersplitterte Kristallbonbons.
»Melaninmangel, gemischt mit Licht, das von roten Blutgefäßen reflektiert wird«, erklärte Mal in der Nacht, als er mir im selben Atemzug meine Unschuld, mein Herz und mein Höschen nahm.
Ich beobachte, wie der Mann, ohne mit der Wimper zu zucken, an der Security vorbei in den VIP-Bereich schreitet. Dabei