: Nils Minkmar
: Montaignes Katze Roman | »Ein großer Roman über einen großen Denker, elegant geschrieben von einem Kenner der französischen Philosophie, Geschichte und Identität.« Ulrich Wickert
: S. Fischer Verlag GmbH
: 9783104904344
: 1
: CHF 22.00
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 400
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Ein historischer Roman über eine Gesellschaft, die droht, auseinanderzufallen In seinem ersten, vom historischen Geschehen inspirierten Roman »Montaignes Katze« erzählt der Frankreich Experte Nils Minkmar von einem Abenteuer, in dem es um das Schicksal Frankreichs, Katzen, Neugier und Melonen geht. Voller sinnlicher Details und mit großer Anschaulichkeit entsteht vor den Augen der Leser eine Welt, die viel mit uns zu tun hat. In einer Winternacht des Jahres 1584 reitet ein geheimnisvoller Besucher zum Schloss von Michel de Montaigne, der gerade mit Frau und Tochter Karten spielt. So beginnt für den 50 Jahre alten Autor der »Essais« und seine jüngere Frau Françoise die Geschichte einer Zeit, die am Eigennutz zu scheitern droht. Wird es ihnen gelingen, aus dem verträumten Protestanten Henri de Navarre den König Henri Quatre zu formen, damit er das zerrissene Land heilt? Der Weg dahin ist voller Fallen. »Minkmar zeigt Frankreichs unzerstörbare Essenz, um nicht zu sagen: Seele.« Claus Leggewie, taz, zu »Das geheime Frankreich«

Nils Minkmar, 1966 in Saarbrücken geboren, hat einen deutschen und französischen Pass. Seine Großeltern lebten in Bordeaux. Er war Redakteur für die ZDF-Sendung »Willemsens Woche« und schrieb für beinahe alle wichtigen deutschen Zeitungen: »Die Zeit«, »Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung«, »Frankfurter Allgemeine Zeitung« und »Der Spiegel«. Seit 2020 ist er freier Autor der »Süddeutschen Zeitung« und schreibt den sonntäglichen Newsletter »Der siebte Tag«.  2006, 2012 und 2017 wurde er als Kulturjournalist des Jahres ausgezeichnet. 2021 erhob ihn die französische Kulturministerin in den Rang eines Chevalier de l'Ordre des Arts et des Lettres. Er veröffentlichte drei Sachbücher bei S. Fischer, »Montaignes Katze« ist sein erster Roman.

IEin Amt ohne Namen


Februar 1584

1Der Graue


Seine Reise ist fast beendet. Er muss nur noch diesen Hügel hoch, aber der hat es in sich. Ein Winterregen hat das Tal der Lidoire im Griff, der Weg ist schlammig, sein Reisepferd kommt nur langsam hoch, und es ist schon spät. Die Häuser sind um diese Zeit wie kleine Festungen, aus denen das Licht nur aus wenigen Schlitzen dringt. Er sucht durch die Bäume die Umrisse des Schlosses, den Turm, aber es liegt gut versteckt. Von dort oben könnte man ihn andererseits jetzt gut sehen. Bloß, dass ihn niemand erwartet.

Er ist nicht das Tal der Dordogne entlanggekommen, sondern aus dem Norden. Von Tours aus ist er nach Süden geritten, und hinter Angoulême schien die Zivilisation zu enden. Ein Dorf hieß La Pendue, die Erhängte, und das passt, nur noch leere Landstriche und tiefe Wälder. Er hat auch Wölfe gehört. In Paris ist viel von ihnen die Rede, von den spontanen Überfällen auf Hirten und allgemein vom Krieg der Wölfe gegen die Menschen. Noch nie ist er so weit entfernt gewesen vom Leben am Hofe.

Er steuert sein Ziel nicht direkt an, sondern lenkt das Pferd um das Schloss herum, dann wieder leicht bergab ins Dorf. Er möchte noch mal fragen, auch wenn das sein Risiko erhöht. Aber nichts wäre gefährlicher, als am falschen Schloss um Einlass zu bitten.

Der schmale, elegante Mann in den besten Jahren lässt das Tier ausschnaufen und schaut, ob ihm jemand gefolgt ist. Er zieht den Hut, lässt das Regenwasser abfließen und trocknet sein Gesicht mit einem weichen Tuch. Eines hat er auf dieser Reise gelernt: Man kann zugleich schwitzen und frieren.

Vorsichtig öffnet er die niedrige Tür einer kleinen Auberge. Nach Tagen im Sattel geht er leicht schwankend, wie ein Seemann.

Drinnen fegt eine junge Frau den schwarzweiß gekachelten Boden. Reste eines Feuers glimmen in dem gewaltigen Kamin, der säuerliche Qualm von Eichenholz brennt ihm in den Augen.

Der Mann trägt grau. Einen festen dunkelgrau, silbrig schimmernden Reisemantel, Stiefel aus grauem Leder und lange, dunkelgraue Handschuhe. Sein Gesicht wirkt müde, aber gepflegt durch Salben und Öle, und er schreitet leise, wie ein Tänzer. Er ist erkennbar nicht von hier, sondern aus dem Ausland, dem Frankreich nördlich der Loire, womöglich aus Paris. Sonst verrät seine Kluft nur, dass sie nichts verraten möchte. Kein Wappen, kein Abzeichen, kein Orden. Wer immer ihn beauftragt hat, scheut keinen Aufwand, um ihn derart unauffällig auszustatten. Er schaut sich anerkennend um, denn es duftet noch nach gebratenem Geflügel und schon nach dem Brot für morgen. Vielleicht hätte er gern Platz genommen, aber seine Zeit ist knapp.

Kinder tapsen im Nachthemd in die Stube und betrachten den Fremden durch den Kittel ihrer Mutter hindurch. Späte Besucher sind hier selten.

Die junge Frau stützt sich auf ihren Besen und bestaunt ihn hemmungslos. Dann wischt sie weiter und blickt zu Boden: »Ein Überfall ist nicht zu empfehlen – wenn ich schreie, kommen sie hier lebend nicht mehr raus. Es ist ein kleines Dorf, und wir riegeln die Wege schnell ab.«

Der Graue hebt, scherzhaft überwältigt, beide Hände, »Was für Zeiten, wirklich« – geht dann elastisch in die Hocke und begrüßt die Kinder. »Ich suche den Sitz des Sire de Montaigne. Ist das weit von hier?«

Die Schar der halbwachen Kinder lacht frech und blickt sich an. Es ist genau gegenüber, am Ende der Straße. Wie kann man das nicht wissen?

Ihre Mutter wischt weiter und kommentiert: »Der Monsieur ist sicher nicht zu Hause, er muss ja dauernd nach Bordeaux, als Bürgermeister dort