IEin Amt ohne Namen
Februar 1584
1Der Graue
Seine Reise ist fast beendet. Er muss nur noch diesen Hügel hoch, aber der hat es in sich. Ein Winterregen hat das Tal der Lidoire im Griff, der Weg ist schlammig, sein Reisepferd kommt nur langsam hoch, und es ist schon spät. Die Häuser sind um diese Zeit wie kleine Festungen, aus denen das Licht nur aus wenigen Schlitzen dringt. Er sucht durch die Bäume die Umrisse des Schlosses, den Turm, aber es liegt gut versteckt. Von dort oben könnte man ihn andererseits jetzt gut sehen. Bloß, dass ihn niemand erwartet.
Er ist nicht das Tal der Dordogne entlanggekommen, sondern aus dem Norden. Von Tours aus ist er nach Süden geritten, und hinter Angoulême schien die Zivilisation zu enden. Ein Dorf hieß La Pendue, die Erhängte, und das passt, nur noch leere Landstriche und tiefe Wälder. Er hat auch Wölfe gehört. In Paris ist viel von ihnen die Rede, von den spontanen Überfällen auf Hirten und allgemein vom Krieg der Wölfe gegen die Menschen. Noch nie ist er so weit entfernt gewesen vom Leben am Hofe.
Er steuert sein Ziel nicht direkt an, sondern lenkt das Pferd um das Schloss herum, dann wieder leicht bergab ins Dorf. Er möchte noch mal fragen, auch wenn das sein Risiko erhöht. Aber nichts wäre gefährlicher, als am falschen Schloss um Einlass zu bitten.
Der schmale, elegante Mann in den besten Jahren lässt das Tier ausschnaufen und schaut, ob ihm jemand gefolgt ist. Er zieht den Hut, lässt das Regenwasser abfließen und trocknet sein Gesicht mit einem weichen Tuch. Eines hat er auf dieser Reise gelernt: Man kann zugleich schwitzen und frieren.
Vorsichtig öffnet er die niedrige Tür einer kleinen Auberge. Nach Tagen im Sattel geht er leicht schwankend, wie ein Seemann.
Drinnen fegt eine junge Frau den schwarzweiß gekachelten Boden. Reste eines Feuers glimmen in dem gewaltigen Kamin, der säuerliche Qualm von Eichenholz brennt ihm in den Augen.
Der Mann trägt grau. Einen festen dunkelgrau, silbrig schimmernden Reisemantel, Stiefel aus grauem Leder und lange, dunkelgraue Handschuhe. Sein Gesicht wirkt müde, aber gepflegt durch Salben und Öle, und er schreitet leise, wie ein Tänzer. Er ist erkennbar nicht von hier, sondern aus dem Ausland, dem Frankreich nördlich der Loire, womöglich aus Paris. Sonst verrät seine Kluft nur, dass sie nichts verraten möchte. Kein Wappen, kein Abzeichen, kein Orden. Wer immer ihn beauftragt hat, scheut keinen Aufwand, um ihn derart unauffällig auszustatten. Er schaut sich anerkennend um, denn es duftet noch nach gebratenem Geflügel und schon nach dem Brot für morgen. Vielleicht hätte er gern Platz genommen, aber seine Zeit ist knapp.
Kinder tapsen im Nachthemd in die Stube und betrachten den Fremden durch den Kittel ihrer Mutter hindurch. Späte Besucher sind hier selten.
Die junge Frau stützt sich auf ihren Besen und bestaunt ihn hemmungslos. Dann wischt sie weiter und blickt zu Boden: »Ein Überfall ist nicht zu empfehlen – wenn ich schreie, kommen sie hier lebend nicht mehr raus. Es ist ein kleines Dorf, und wir riegeln die Wege schnell ab.«
Der Graue hebt, scherzhaft überwältigt, beide Hände, »Was für Zeiten, wirklich« – geht dann elastisch in die Hocke und begrüßt die Kinder. »Ich suche den Sitz des Sire de Montaigne. Ist das weit von hier?«
Die Schar der halbwachen Kinder lacht frech und blickt sich an. Es ist genau gegenüber, am Ende der Straße. Wie kann man das nicht wissen?
Ihre Mutter wischt weiter und kommentiert: »Der Monsieur ist sicher nicht zu Hause, er muss ja dauernd nach Bordeaux, als Bürgermeister dort