: Peter Härtling
: Schubert
: Verlag Kiepenheuer& Witsch GmbH
: 9783462300208
: 1
: CHF 8.00
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: Romanhafte Biographien
: German
: 216
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Eine Sprache wie Musik - Peter Härtlings sinnlicher und faszinierender Roman über den Komponisten Franz Schubert Franz Schubert, der nur 31 Jahre alt wurde, ist neben Mozart der tragischste Genius der abendländischen Musikgeschichte. In seinem Roman 'Schubert' entwirft Peter Härtling, der sich von Anfang an mit dem Leben, der Musik und der Wirkung des großen romantischen Komponisten beschäftigt hat, als erster ein modernes literarisches, sehr bewegendes Bild vom Leben und Werk des begnadeten Musikers. Franz Schubert: das Genie, der leise Rebell, der unglücklich Liebende, der erste bürgerliche Komponist. Er kann von einer Gesellschaft leben, zu der er in seiner Musik auf größte Distanz geht. Auch dies gehört zum Modernen seines Lebens. Mit sicherem Blick für das Wesentliche zeichnet Peter Härtling die Lebensstationen Schuberts nach, vom Sängerknaben der k.k. Hofkapelle bis zum gefeierten Mittelpunkt in den Salons der vergnügungssüchtigen Wiener Gesellschaft. Mit großer Intensität und in einer zu Musik gewordenen Sprache beschreibt Härtling das Leben und die Werke Schuberts, ein Leben, das nur in der Kunst Glück erlangt hat, weshalb diese Kunst soviel Glück vermittelt.

Peter Härtling, geboren 1933 in Chemnitz, gestorben 2017 in Rüsselsheim, arbeitete zunächst als Redakteur bei Zeitungen und Zeitschriften. 1967 wurde er Cheflektor des S. Fischer Verlages in Frankfurt am Main und war dort von 1968 bis 1973 Sprecher der Geschäftsführung. Ab 1974 arbeitete er als freier Schriftsteller. Peter Härtling wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, zuletzt mit dem Hessischen Kulturpreis 2014 und dem Elisabeth-Langgässer-Preis 2015. Das gesamte literarische Werk des Autors ist lieferbar im Verlag Kiepenheuer& Witsch, zuletzt erschien sein Roman »Gedankenspieler« (2018).

2.Schulgeburten


Franz Schubert kam in einem Schulhaus zur Welt. Nicht in einem, wie wir es kennen, einem öffentlichen Gebäude, das allein der Lehre und dem Lernen dient, sondern in einem Haus, in dem gelebt, geliebt, geboren, gestorben und eben auch unterrichtet wurde. In dem es einen täglichen und einen nächtlichen Lärm gab, Geräusche nach einem festen Muster, einem Stundenrhythmus.

Das Haus im Neunten Bezirk gibt es noch; es gleicht nicht mehr ganz dem am einstigen Himmelpfortgrund.

Was sich heute in der Undurchschaubarkeit der großen Stadt museal hervortut, gehörte damals, Ende des achtzehnten Jahrhunderts, zu einem vorstädtischen Bereich, in dem sich dreitausend Menschen in engen, kargen Wohnungen drängten, Handwerker in den Höfen ihre Werkstätten hatten, Taglöhner neben Beamten lebten, Lehrer neben Dienstboten. Die Enge drückte sie alle auf die Straße, wo von ihnen nicht nur viele Handel trieben und arbeiteten, sondern ebenso entspannten, spielten, flanierten, dem Treiben der Nachbarn nachspionierten.

Die Straßen stanken. Bei Nacht gab es so gut wie kein Licht.

Die Lebensunruh wärmte die einen, machte die andern frösteln.

Wer träumte, wurde rasch durch das Geschrei des Tags und die Seufzer der Nacht aufgeschreckt.

Die Sommersonne trocknete die Gassen und Höfe so aus, daß der Unrat gar nicht dazu kam zu faulen. Der Regen häufelte den Dreck auf, und im Winter fror rasch, was faulen und stinken konnte.

 

Noch ist Franz nicht geboren, noch haben seine Eltern keine Ahnung, wo sie einander treffen, wo sie ihr gemeinsames Leben beginnen werden.

Die Gegend, aus der Franz Theodor Schubert, der Vater, stammt, kenne ich. Neudorf liegt nahe bei Mährisch-Schönberg; in einer hügeligen Landschaft, die sich in der Kindererinnerung schroff auftürmt. Das Altvatergebirge grenzt nach Osten hin den Horizont ab. Es hat, wenn mein Gedächtnis sich nicht schwärmerisch irrt, Bachtäler gegeben, die sich mit grünen Rainen durch die Wälder schnitten, wie in einem Bilderbuch oder einem Lied:

»Hinunter und immer weiter

Und immer dem Bache nach

Und immer frischer rauschte

Und immer heller der Bach.«

Vielleicht hat Vater Schubert manchmal seinen Kindern von dieser Gegend erzählt. Es kann genausogut sein, daß er sie verschwieg, vergessen wollte. Es hat ihn ja fortgedrängt, Karl nach, dem älteren Bruder, der schon in Wien als Lehrer tätig war.

Im Winter 1783 kam Franz Theodor in Wien an. Er hatte sich in Brünn und anderswo bereits an Schulen geübt und darum keine Schwierigkeiten, sich bei seinem Bruder an der Karmeliterschule zu verdingen. Sicher brauchte er einige Zeit, mit der großen Stadt zurechtzukommen, die damals schon mehr als zweihundertfünfzigtausend Einwohner hatte. Er war ehrgeizig, wollte es zu etwas bringen. Zwei Semester lang hörte er an der Wiener Universität Philosophie.

Von Franz Theodor ist ein Porträt erhalten, ein Gemälde, das ihn als gestandenen Schulmeister zeigt und, nach längerem Hinschauen, als unheimliche Person. Das Gesicht zerfließt und wirkt dennoch in seiner Mimik angestrengt. Eine sonderbar fleischige Nasenwurzel drückt die Augen unverhältnismäßig weit auseinander. Auch die Stirn über den kaum vorhandenen Augenbrauen geht in die Breite, findet keine Form. Die Backen hängen müde und schlaff. Das seine Lüsternheit verbeißende Mündchen sitzt über einem ganz und gar kindlichen, durch ein Grübchen geteilten Kinn.

Da will einer sich um nichts in der Welt verraten, spielt den unauffälligen Bürger und gibt unfreiwillig dennoch vieles von dem preis, was ihn quält und worunter seine Nächsten leiden: Daß er fromm zu sein vorgibt, obwohl Zweifel und Verzweiflung ständig an ihm reißen; daß er auf sein