: Kerstin Wiedemann
: Sommerfrische in Südtirol Roman
: Piper Verlag
: 9783377901026
: 1
: CHF 4.00
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 320
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Alpenglühen und Zirbenduft im malerischen Italien Britt bricht das Herz, als sie ihre Buchhandlung schließen muss. Das kleine Geschäft und die wenigen Stammkunden waren ihr Lebensinhalt. Und nun will ihre Mutter ihr zum neuen Job am liebsten noch einen adäquaten Partner aufschwatzen. Deshalb entschließt sich die Anfang Fünfzigjährige für die Flucht. Zusammen mit dem Liebesromanautor Jonas, der Sportlerin Sarah und der Rentnerin Rosa mietet sie für einen Monat ein Haus in den Südtiroler Alpen an. Es wird eine Reise zwischen alpinem und mediterranem Lebensgefühl, auf der Britt nicht nur zu sich selbst finden muss, sondern sich auch neu verliebt.

Kerstin Wiedemann ist gelernte Buchhändlerin. Nach ihrem BWL-Studium arbeitete sie in verschiedenen Positionen bei vielen namhaften Verlagen und als Drehbuchautorin bei »Verbotene Liebe«. Parallel hat sie immer geschrieben, 2021 erschien ihr erster Roman..

1. Kapitel


Es war noch dunkel, als Britt schweißgebadet mit wild pochendem Herzen hochschreckte. Ein scheußlicher Albtraum hatte sie die wenigen Stunden, in denen sie Schlaf fand, geplagt. Ausgerechnet heute, wo sie ihre Kräfte so dringend benötigte! Sie spürte, wie ihr die Tränen in die Augen schossen. Nein, jetzt bitte nicht heulen, Selbstmitleid war das Letzte, was sie brauchen konnte. Energisch schlug sie die Bettdecke zurück und machte sich auf den Weg ins Bad. Beim Blick in den Spiegel zuckte sie zusammen. Wer um Himmels willen war diese alte Frau, die ihr da entgegenblickte? Der Stress der letzten Wochen hatte sich tief in ihr Gesicht gegraben. Dunkle Augenringe zierten ihre blauen Augen, und neue graue Strähnen zogen sich durch ihr weizenblondes Haar. Am liebsten hätte sie ihre Mähne abgeschnitten, aber gute Kurzhaarfrisuren brauchten Pflege und regelmäßige Friseurbesuche, das kostete Geld, und ihre finanzielle Zukunft sah alles andere als rosig aus.

Seufzend wandte sie sich vom Spiegel ab. Was sie jetzt erst einmal brauchte, war Kaffee, so viel und so stark wie möglich. Während die alte Filtermaschine unter lautem Geblubber mit der Getränkezubereitung beschäftigt war, ging Britt ihre To-do-Liste für den Tag durch. Es war noch so viel zu bedenken, bevor sie ihre kleine BuchhandlungLeselust für immer schließen und die Räumlichkeiten zurück an Herrn Gering, den Vermieter, übergeben würde.

Ein Brummen lenkte sie von ihren Grübeleien ab. Wer rief morgens um sieben Uhr bei ihr an? Britt warf einen Blick auf das leuchtende Display. Na, wenn man vom Teufel sprach beziehungsweise an ihn dachte …

»Guten Morgen, Herr Gering, Sie sind aber früh dran.«

»Moin, Frau Larsen, ich weiß doch, dass Sie wach sind, Sie verschicken ja auch bereits morgens um sechs E-Mails.«

Punkt für ihn, dachte Britt.

»Und was gibt es so Wichtiges am frühen Morgen? Haben Sie es sich doch noch mal überlegt? Wollen Sie die Mieterhöhung zurücknehmen?«

Gering schnaubte. »Ich habe es Ihnen doch schon erklärt, die Kosten sind so massiv angestiegen, die Inflation … mir bleibt keine andere Wahl.«

»Es ist eh zu spät, heute ist der letzte reguläre Verkaufstag, und danach packe ich alles zusammen.«

»Ja, da wäre noch eine Sache …«

Beim Klang seiner Stimme schwante Britt nichts Gutes.

»… das Laminat und die Regale …«

»Ja?«

»Die müssen nun doch raus.«

»Wie bitte? Sie waren doch damit einverstanden, dass die Sachen gegen eine kleine Ablöse im Laden bleiben!«

»Nein, das geht nicht, es tut mir leid. Ich möchte den Laden so anbieten, wie er vorher war.«

»Mit dem ollen Teppich? Ist das ihr Ernst?«

»Das lassen Sie mal schön meine Sorge sein, ich möchte alles wieder in den ursprünglichen Zustand zurückversetzt haben, das diskutiere ich jetzt auch nicht mit Ihnen weiter.«

Verzweifelt schloss Britt die Augen. Es gab noch so viel zu tun, wie sollte sie das alles nur hinbekommen? Und was sollte das überhaupt? Das Laminat und die Regale aus Zirbenholz, die sie für viel Geld von einer kleinen Schreinerei in Südtirol hatte anfertigen lassen, waren so viel hübscher als der olle Teppich, der sich unter dem hellen Holzboden verbarg, das war doch reine Schikane!

»Also kann ich mich auf Sie verlassen?«

Erschöpft öffnete Britt die Augen. Was blieb ihr schon anderes übrig, wenn sie ihre komplette Kaution zurückhaben wollte?

»Aber können Sie die Nachmieter wenigstens mal fragen?«, wagte sie einen letzten Vorstoß. »Vielleicht freuen die sich ja doch über einen schönen Boden …«

»Frau Larsen, wenn Sie den Boden nicht rausreißen, muss ich die Entrümpelung wohl oder übel selbst veranlassen und Ihnen diese in Rechnung stellen.«

»Alles klar, Boden und Regale kommen zum vereinbarten Termin raus. Dann noch einen schönen Tag, Herr Gering!« Ehe der Vermieter noch etwas erwidern konnte, drückte Britt die rote Taste zur Beendigung des Telefonats. Sicher, das war unhöflich, aber sie ertrug den Kerl nicht eine Sekunde länger. Dieser schreckliche, alte Raffzahn. Wenn er nicht noch einmal die Miete erhöht hätte … Wobei das auch nicht so ganz stimmte. Die Mieterhöhung Ende letzten Jahres war vielleicht ihr Todesstoß gewesen, aber ihre finanzielle Situation war von Anfang an nicht besonders gut gewesen, und die vergangenen sieben Jahre hatten sich die Umsätze durchgehend auf Talfahrt befunden. Eigentlich sollte Britt erleichtert sein, ein jahrelanger Existenzkampf näherte sich nun dem Ende. Sie könnte sich wieder in einer Buchhandlung anstellen lassen und ihr Leben als Arbeitnehmerin fristen, ganz entspannt. Bei dem Gedanken wurde ihr ganz anders. Ihre kleineLeselust und ihre Selbstständigkeit fehlten ihr jetzt schon!

Britts Magen begann zu knurren. Traurigerweise gehörte sie nicht zu den Menschen, denen der Appetit bei Kummer oder in Stressphasen verging, im Gegenteil! Sie fraß sich dann gerne noch ein paar Extrakilos an. In letzter Zeit kniff ihre Kleidung mehr denn je. Selbst die bunte Hose aus dem Eine-Welt-Laden, die mit dem praktischen Gummizug, die immer so schön locker saß, war zu eng geworden. Das Thema gesunde Ernährung würde sie dringend angehen müssen, sobald der Laden abgewickelt wäre. Aber jetzt siegte der Hunger.

Einer der Vorteile, wenn man so nahe an der Reeperbahn wohnte, war, dass man rund um die Uhr die unterschiedlichsten Leckereien erwerben konnte. Britt warf einen Blick aus dem Fenster. Typisches Hamburger Nieselwetter. Sie würde den letzten Tag als selbstständige Buchhändlerin ganz in Ruhe und in Würde begehen und sich noch ein ordentliches Frühstück auf der Schanze gönnen.

Der Regen hatte noch zugenommen, als sie die Straße betrat, aber das störte sie nicht weiter. Jeden Tag lief sie die halbe Stunde von ihrer Wohnung zurLeselust. Bei Wind und Wetter. Als echte Hamburgerin gab es für Britt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung. Heute war definitiv ein Regenmantel-Gummistiefel-Tag. So ausgestattet marschierte sie los. Auf ihrem Weg ins Schanzenviertel passierte sie mehrere Straßensperren. Ach ja, heute war Marathon. Die armen Läufer! Kurz bevor sie das Café erreichte, begann ihr Telefon zu brummen. Konnte dieser Morgen noch schlimmer werden? Ja, konnte er. Es gab nur einen Menschen, außer Herrn Gering, der so früh anrief und nicht lockerlassen würde, bis sie endlich antwortete. Eigentlich sollte sie nicht drangehen, aber wenn sie die Anrufe ignorierte, würde sie den ganzen Tag keine Ruhe haben.

»Hallo, Mama!«

»Endlich nimmst du ab, ich habe es vorhin schon einmal versucht!«

»Habe ich nicht mitbekommen, entschuldige. Ich bin auf dem Weg zum Laden. Heute ist doch der letzte Verkaufstag.«

»Ach, gut, dann ist das leidige Thema endlich abgeschlossen, und du kannst dir eine vernünftige Arbeit suchen. Komm doch zu mir in die Stiftung! Wir können weiteres Personal gut brauchen.«

»Mama, jetzt lass mich doch erst mal die Schließung abwickeln, und dann denke ich darüber nach, was ich mit meinem Leben anfange.«

»Aber du brauchst doch Geld, wie willst du dich denn über Wasser halten?«

»Ich habe in den letzten Jahren ein bisschen Geld angespart, damit komme ich ein paar Monate gut über die Runden.«

Britt sah ihre Mutter förmlich vor sich, wie sie auf der weißen Ledercouch im Wohnzimmer saß, den Hörer ein wenig entfernt vom Ohr hielt, damit das Make-up nicht verschmierte oder die sorgsam toupierten Haare zu Schaden kamen. Vor ihr, auf dem mit Gold eingefassten Glastisch, stand eine Kanne mit grünem Tee. Essen gab es erst ab zwölf Uhr, ihre Mutter schwor seit Jahren auf Intervallfasten, mit Erfolg. Die klassischen Kostümchen von Chanel, Größe 36, saßen wie angegossen.

»Schade, wenn du damals Jan nicht vergrault hättest, bräuchtest du dir jetzt keine Sorgen machen, der würde sich um dich kümmern.«

Britt spürte Wut in sich aufsteigen. Da hockte ihre Mutter wie die Made im Speck in ihrer schicken Villa im Blankeneser Treppenviertel, die sie nur dank ihres zwanzig Jahre älteren Mannes ihr Eigen nennen konnte, und feuerte einen dämlichen Vorschlag nach dem anderen ab, statt selbst auf die Idee zu kommen, ihr finanzielle Unterstützung ...