3. KAPITEL
EMMA
Von Frankfurt nach Edinburgh sind es zwei Flugstunden, und nach fünfzig Minuten stehe ich auf, um zur Toilette zu gehen. Kann sein, ich bin besessen, aber es reicht nicht mehr, in meinen Sneakern die Zehen auf und ab zu bewegen und nervös mit dem Fuß zu wippen. Normalerweise habe ich kein Problem damit, mehrere Stunden am Stück still zu sitzen, aber normalerweise fliege ich auch nicht nach Schottland, um die Neue an einem Eliteinternat zu sein. Ich frage mich, ob es wirklich so sein wird wie auf dieser unfassbar nobel aussehenden Website der Schule. Lächelnde Schülerinnen und Schüler, die mit ihren Lehrbüchern auf dem Rasen sitzen oder in Uniform über das Gelände laufen. Hochmoderne Geräte, die in den Klassenzimmern uralter Gebäude stehen. Gemeinschaftsgefühl statt Leistungsdruck und Konkurrenz. Nicht dass es das an meiner alten Schule gegeben hätte. Dafür war der Unterricht den meisten ein wenig zu egal, aber wenn ich Mamas Erzählungen Glauben schenken darf, ist das im Internat anders.Dunbridge verpflichtet. Ein seltsamer Spruch, aber irgendwie passt er auch zu meiner Vorstellung von dieser Schule. Und zu Henry. Er ist bestimmt sehr pflichtbewusst, aber ohne dass es streberig wirkt. Ich nehme mir jedenfalls vor, mich wirklich anzustrengen und das Beste aus meiner Zeit in Schottland zu machen, während ich den Mittelgang des Flugzeugs entlanggehe.
Leider gibt es nur einen einzigen. In den großen Maschinen auf längeren Flügen kann man durch die kleinen Bordküchen auf die andere Seite der Sitzreihen huschen und ein paar Runden gehen. Jetzt gibt es nur einen Hin- und Rückweg zur Toilette, aber das ist besser als nichts.
Ich schließe die Tür der kleinen Kabine und starre mir selbst im Spiegel entgegen, während es in meinem Kopf dröhnt. In dem grellen Licht sehen meine blonden Haare beinahe weiß aus. Ich streiche mir eine Strähne meines Bobs hinter das Ohr und drücke die Spülung, obwohl ich nicht auf der Toilette war. Dann wasche ich mir die Hände, trockne sie mit den steifen Papiertüchern, die das Wasser nicht aufsaugen, sondern abweisen, und rüttle an der Tür. Sie öffnet sich mit einem komplizierten Faltmechanismus nach innen, und weil mich das so fasziniert, sehe ich zu spät, dass Henry da draußen steht.
»Oh, hi«, sagt er, und seine Stimme klingt bei dem Dröhnen des Flugzeugs irgendwie anders. Er lächelt, aber er sieht auch müde aus. Gerade erst aufgewacht, mit leicht verquollenen Augen und wirren Haaren, die unter der Kapuze seines Pullis hervorschauen.
»Gut geschlafen?«, frage ich und bereue es auf der Stelle, weil er jetzt weiß, dass ich ihn beobachtet habe.
Henry zögert, dann verändert sich sein Lächeln. Er zuckt mit den Schultern und weicht einen Schritt zur Seite, als sich eine andere Passagierin an ihm vorbeischiebt. Ich verstehe nicht, was sie sagt, es ist schnelles, undeutliches Englisch, auf das Henry mit noch schnellerem undeutlichem Englisch antwo