: Bernhard Blöchl
: Im Regen erwartet niemand, dass dir die Sonne aus dem Hintern scheint Roman
: Piper Verlag
: 9783492976305
: 1
: CHF 10.80
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 272
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Er will nichts mehr vom Leben - sie will alles. Knoppke sucht Ruhe - Sam sucht Gesellschaft. Gemeinsam verschlägt es das ungleiche Duo in Knoppkes Transit nach Schottland, sein Motto: Im Regen erwartet niemand, dass dir die Sonne aus dem Hintern scheint. Was aber, wenn dich gerade dort das Glück verfolgt, das sonst nur die anderen haben? Das Glück der anderen ist ein Arschloch, so dachte Knoppke früher, nachdem er um seine große Liebe nicht gekämpft hatte. Zu seinen vergrabenen Gefühlen findet er ausgerechnet in den stürmischen Highlands zurück: Er traut sich Extremes und will wieder was. Und dann ist da noch Sams Geheimnis, das anscheinend auch ihn betrifft, oder vielleicht doch nicht?

Bernhard Blöchl, Jahrgang 1976, ist Autor und Journalist aus München. Als Redakteur der Süddeutschen Zeitung befasst er sich mit Kultur in München und Bayern, seine Themen sind Film, Literatur und Pop. Blöchl schreibt Unterhaltungsromane und betreibt unter lieblingssaetze.de ein virtuelles Museum der schönen Sätze.

DAS GLÜCK DER ANDEREN IST EIN ARSCHLOCH


1)  Das Glück der anderen traf ihn mit voller Wucht.

Knoppke zupfte gerade seine orange Weste zurecht, die neuerdings in der Hüftgegend bedenklich spannte, als das Tor fiel, welches das Schauspiel vor seiner Nase eröffnete. Er hob den Kopf und schaute auf Hunderte entrückter Gesichter, genauer gesagt schaute er in Hunderte Kehlen, so weit standen ihre Münder offen. Knoppke sah Fäuste, überall Fäuste, wie sie durch die flirrende Luft tanzten, Kerle, die zu Kindern wurden und flennten, wahlweise ihre Freundinnen knutschten oder die Freundinnen der Nachbarn oder völlig fremde Frauen. Er entdeckte graubärtige Matrosen in diesem hochhaushohen Wimmelbild, Tätowierte, die ihre Fish-&-Chips-Plauzen enthüllten und ihren Nebenmännern Bierküsse auf die Glatzen drückten. Ein blaues Meer des Überschwangs schwappte durch das rote Stadion, als Knoppke sich am Bauch kratzte.

Diese Halunken, dachte er voller Respekt für die Gäste aus London, denen er den Triumph zu keiner Zeit der Partie zugetraut hätte. Knoppke konnte den entscheidenden Elfmeter zwar nicht sehen, sondern nur hören, ein dumpfes, weit entferntes Flappen, dafür erlebte er hautnah, was dieser eine Schuss mit den Menschen machte, die ihn live und ganz genau verfolgten. Der Schuss zum High-Sein. Die Überdosis Gefühl.

Knoppke stand ein paar Meter vor dem Block der Auswärtsmannschaft in der Münchner Arena und sah den Fans der Sieger dabei zu, wie sie sich gegenseitig in die Arme fielen und rangelten. Einer zog sogar seinen Schwanz aus dem Hosenschlitz, einen gar nicht mal so mickrigen, wie Knoppke befand, so einen konnte man schon herzeigen. Später würden alle das Teil auf YouTube begutachten können, in dem verwackelten Video eines dieser Hobby-Filmer. Ein Glück, dachte Knoppke, dass es diese Dinger zu seiner Zeit noch nicht gegeben hatte, also diese Handykameras. Große Schwänze hatte es immer gegeben, kleine übrigens auch, weiß Gott. Aber wenn das Penisfechten in der Kabine des WSV im Netz gelandet wäre, damals in der A-Jugend, dann hätten sich ja doch nur wieder alle aufgeregt.

Drei Jahrzehnte später waren noch viel mehr Erwachsene aus dem Häuschen, es roch nach Silvester und Testosteron, nach feuchtem Gras und dem Schweiß der Massen. So sieht also Ekstase aus, dachte Knoppke und versuchte sich daran zu erinnern, wann er zuletzt so erregt war wie diese Meute. Wann er zuletzt geweint hatte. Oder sich entblößt hatte. Oder geschrien, getanzt, irgendwas. Musste lange her sein. Ihm kam nichts in den Sinn.

Gar nichts.

Einem Impuls folgend trat Knoppke ein paar Schritte zurück, so wild rüttelten die Fans an der Absperrung mit den mitgebrachten Union-Jack- und Vereins-Flaggen, so dröhnend und schrill war das Gebrüll auf den Rängen. Er konnte schon jetzt den Pfeifton hören, der ihn morgen begleiten würde, einen Ton, der sich anfühlen würde wie ein Ohrwurm, der seine Melodie vergessen hatte.

Morgen. Für die Fans des FC Chelsea existierte morgen nicht, für sie gab es nur den Moment. Diesen Moment für die Ewigkeit, von dem sie noch ihren Enkeln erzählen würden. Diesen Moment, den Knoppke nur indirekt erlebte, weil er ihm den Rücken zukehrte. Aber er hatte sich daran gewöhnt. Als Security Steward bestand sein Los darin, mittendrin zu sein und nicht dabe