: Mari Roth
: Nico - Die Sängerin der Nacht Sie ist Warhols Muse, aber erst in der Liebe zu Jim Morrison findet sie ihre Stimme
: Aufbau Verlag
: 9783841228376
: Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe
: 1
: CHF 8.80
:
: Romanhafte Biographien
: German
: 400
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB

Nico - Andy Warhols Muse, charismatische Sängerin, Ikone der Sechziger.

Die junge Christa Päffgen ist anders - groß, still und schön wird sie das erste Supermodel Deutschlands. Doch das genügt ihr bald nicht mehr, sie geht nach Paris und nennt sich »Nico«. Als blonde Femme fatale spielt sie in Fellinis »La Dolce Vita« und verliebt sich in Alain Delon, die Affäre scheitert jedoch. Dann erkennt Andy Warhol in ihr seine Muse, und sie wird als düstere Chanteuse von Velvet Underground zur enigmatischen Ikone der Sechziger. Stets bleibt Nico jedoch auf der Suche nach der Essenz hinter ihrer Schönheit, nach ihrer Stimme als Musikerin - bis sie Jim Morrison trifft, den Sänger von The Doors, der sie ermutigt, eigene Songs zu schreiben. Eine Begegnung, die alles verändert ...

Eine Frau, die alle Konventionen ihrer Zeit sprengte, und ihre Suche nach sich selbst in der wilden Bohème der Sechziger.



Mari Roth, geboren 1969, arbeitet als Journalistin und Übersetzerin und lebt und schreibt in Berlin. Schon als Jugendliche hat sie sich für Popmusik interessiert. Eine ihrer ersten Schallplattenwar das Album 'Double Fantasy', das John Lennon kurz vor seinem Tod mit seiner Frau Yoko Ono aufnahm. Doch viel spannender als Lennons Beziehung mit Yoko Ono fand sie die Anfänge der Beatles - und den Anteil, den die beinahe vergessene erste Ehefrau Cynthia daran hatte.

Im Aufbau Taschenbuch ist von ihr 'Nico - Die Sängerin der Nacht' lieferbar.

Prolog


Ibiza 1988

Er saß an der Bar, als sie hereinkam. Er erkannte sie sofort; ihr zerzaustes schwarz gefärbtes Haar; ihre eleganten Bewegungen, wie sie auf einen Barhocker ganz am Eingang glitt. Diese Frau war es gewohnt, in Bars zu gehen, und jede ihrer Gesten sagte: Glotzt nicht so, Leute! Ihr interessiert mich nicht.

Sie bestellte in schlechtem Spanisch einen Whisky, den Juan, der Barkeeper, ihr sogleich brachte. Die beiden nickten sich zu. Sie trank, lächelte kurz vor sich hin und schob Juan dann das Glas wieder zurück. Refill, hieß diese Geste, die sofort verstanden wurde. Es war halb zwölf, nicht einmal Mittag, für die meisten gewöhnlichen Menschen nicht die richtige Zeit für einen Drink. Aber sie war kein gewöhnlicher Mensch, das konnte jeder auf Anhieb sehen.

Sie schlug die Beine übereinander, sie trug einen weiten schwarzen Rock, ihre Jacke und die Bluse darunter waren gleichfalls schwarz, die Kleidung war geschmackvoll, zugleich wirkte sie, als würde sich ihre Trägerin nicht viel daraus machen. Die Frau saß da, trank ihren zweiten Drink nicht sofort, sondern blickte vor sich hin. Wie jemand, der sich erinnert, dachte er, oder nach Worten sucht, bestimmten Worten, die sich zu einem Lied oder einem Gedicht zusammensetzen.

Er hatte sie vor zwei Jahren in Manchester auf der Bühne gesehen. Damals hatte er bei einem Freund gewohnt und gedacht, er könnte einen Roman über einen Musiker und die Songs der sechziger Jahre schreiben, über die Beatles, die Rolling Stones, aber über ein paar erste Seiten, die ziemlich blutleer geblieben waren, war er nicht hinausgekommen. Stattdessen hatte er dann einen Thriller über einen Serienkiller übersetzt, der tagsüber Lehrer war und nachts blonden Frauen nachstellte. Jekyll und Hyde in der hundertsten Fassung, mühselig und langweilig.

»Wir müssen uns Nico ansehen. Sie gibt heute Abend ein Konzert«, hatte sein Freund gesagt.

Er hatte ihn nur fragend angeschaut.

»Nico von Velvet Underground – der Band, die Andy Warhol gegründet hat … oder so ähnlich.«

Mühsam hatte er sich zu erinnern versucht. Klar, er kannte Lou Reed, John Cale, und da war diese Frau gewesen, diese blonde kalte Schönheit aus Deutschland. Nico.

Das Konzert fand in einer alten Fabrikhalle statt; es war feucht und zugig, und ein paar Fenster waren eingeschlagen. Das Publikum schien in erster Linie aus älteren Punks zu bestehen. Etwa zweihundert Leute waren gekommen, alle mit einer Bierflasche in der Hand. Ihnen schien es nichts auszumachen, dass sie warten mussten und sich auf der schmalen, kaum erleuchteten Bühne nichts tat. Um acht sollte die Show beginnen. Es wurde halb neun, dann neun. Gegen halb zehn schlichen vier Musiker ohne Blick und Gruß auf die Bühne. Sie mussten ihre Instrumente noch stimmen und taten das ohne jede Eile; ein Schlagzeug dröhnte, die Gitarre jaulte auf, jemand, der wie ein Schuljunge aussah, setzte sich an ein Keyboard. Und dann kam sie, wie aus dem Nichts, aus der Nacht gefallen, eine ganz in Schwarz gekleidete Frau mit einer Zigarette in der einen Hand, einem Bier in der anderen. Sie beugte sich zum Mikrophon vor, hauchte etwas, vielleicht eine Begrüßung, ein knappes »Welcome«. Dann starrte sie ein paar Atemzüge lang ins Publikum, mit unbewegter Miene, bevor sie zu singen begann, nein, singen war das falsche Wort: Sie stieß Klänge aus, die vielleicht eine Bedeutung hatten, vielleicht auch nicht, eine dunkle Schamanin, die ganz ihren eigenen Rhythmus pflegte; sie achtete nicht auf die Band und zwang ihre Musiker, ihr zu folgen, was nicht immer gelang. Aber selbst wenn Stimme und Sound der Instrumente nicht zusammenpassten, wob sich doch alles zu einem Teppich aus Klängen, der einzigartig war. Diese Frau hatte nichts ausgelassen, wie jedem mit einem Blick klar wurde, sie stand mit einem Bein schon auf einer anderen Seite, jener, die Normalsterblichen verschlossen bliebe. Vielleicht machte das ihre Faszination aus. Vielleicht nahm das Publikum es deshalb hin, dass sie plötzlich schwieg, eine Minute, zwei Minuten lang. Trotzdem waren die Leute völlig gebannt. Diese Frau war keine Sängerin, keine Schauspielerin, sie war eine rätselhafte Ikone, die ihre Ahnungen von Dunkelheit, Liebe und Verderben wie schwarze Kristalle über ihr Publikum warf.

Hinterher besorgte er sich tatsächlich eine Schallplatte von Nico. »Camera Obscura«, das Album, das 1985, ein Jahr vor dem Konzert, erschienen war, doch die Faszination des Liveauftritts hatte sich beim Hören nicht eingestellt. Diese Musik war ihm nur dumpf und dunkel vorgekommen.

»Pass auf, dass du vom Glotzen keinen Herzstillstand kriegst.« Nico hatte sich zu ihm umgewandt. Ihre dunklen Augen blitzten ihn an. Sie hatte ihn auf Deutsch angesprochen, registrierte er überrascht.

»Sorry. War in Gedanken«, erwiderte er wie ertappt. Er griff nach dem Bier vor sich. »Ich habe dich einmal im Konzert gesehen, Manchester, vor zwei Jahren. War cool.«

»Cool!« Sie wiederholte das Wort geringschätzig. »Ich bin noch nie in Manchester aufgetreten. Überhaupt noch niemals irgendwo aufgetreten. Du musst mich verwechseln.«

»Klar«, sagte er. Sie wollte spielen, das drückte ihr Tonfall aus. »Wieso hast du gewusst, dass ich aus Deutschland komme – so wie du?«

»Ich bin keine Deutsche«, sagte sie. Sie nahm eine Zigarette hervor. Juan sprang heran, um ihr Feuer zu geben. Geziert inhalierte sie und blies den Rauch langsam wie in einem Ritual gegen die Decke. »Menschen aus dem Nibelungenland erkenne ich zehn Meilen gegen den Wind. So geduckt hocken sie da, den Kopf eingezogen, beobachten und zählen. Deutsche zählen alles, ihre Welt besteht aus Zahlen, am liebsten zählen sie Tote und Geld.« Mit der linken Hand griff sie nach ihrem Glas, sie trank einen knappen Schluck.

Ihre Bewegungen, die Art, wie sie sich mit der Zunge über die Lippe fuhr, zeugten davon, wie schön sie einmal gewesen war. Das erste deutsche Supermodel, das Paris und New York erobert hatte, die schönste Frau der Welt. Es war eine Weile her. Nun hatten die Drogen ihre Spuren hinterlassen, aber faszinierend war sie noch immer.

»Ich zähle keine Toten«, sagte er. »Manchmal zähle ich Geld. Wenn ich keins mehr habe, dann …«

»Was bist du?« Sie wandte sich wieder zu ihm um. Licht fiel auf ihr Gesicht, ihre Augen. Ein wenig Interesse war da nun zu lesen.

»Ich bin Schriftsteller, das heißt, im Moment übersetze ich eher. Mein erster Roman … verkauft sich nicht besonders.« Dass sein Roman nie fertig geworden war, brauchte sie nicht zu wissen.

Sie lachte dunkel auf. »Deshalb hockst du hier und starrst fremde Frauen an?«

»Ja«, sagte er. »Das Konzert war übrigens gut, auch wenn dein Gitarrist fast von der Bühne gefallen wäre.«

»Er war high – high und betrunken von zu viel Bier«, sagte sie. »Waren wir alle. Deshalb waren wir ja so gut, haben die Kälte nicht gespürt. Meistens ist es kalt bei meinen Auftritten. War eine Scheißtour – hat auch nicht viel eingebracht. Mein Manager hat es versaut.«

»Trittst du hier auf Ibiza auf?«, fragte er und widerstand der Versuchung, einen Barhocker aufzurücken, um ihr näher zu kommen.

Sie schüttelte den Kopf, dann rauchte sie wieder und umfasste ihr halb volles Glas. Sie starrte vor sich hin, als wären ihre Augen auf der Suche nach etwas, das es nicht gab, nicht mehr gab oder vielleicht noch nie gegeben hatte.

Drei Männer kamen lärmend herein, warmes Licht fiel durch die Tür, doch Nico beachtete sie gar nicht. Sie war wie in einen Dämmerschlaf gesunken.

Das Gespräch ist wohl zu Ende, dachte er. Meine fünf Minuten mit der Frau namens Nico.

Dann, während er noch nach ein paar Münzen kramte, um sie auf den Tresen zu werfen und zu gehen, wandte sie sich wieder zu ihm um. Ihr Mund formte ein O, als würde gleich ein Laut der Überraschung über ihre Lippen kommen. Ihre Augen waren nun weit offen.

»Du kannst also mit Worten umgehen«, sagte sie, als wäre ihr Gespräch niemals unterbrochen worden.

Er nickte. »Denke schon.«

»Ich will einen Roman schreiben«, sagte sie. »Über mein Leben. Wenn du so gut bist, wie du tust, kannst du mir helfen. Es muss aber gut werden. Ich will das Buch David Bowie geben, damit er es...