WOHER SCHRIFTSTELLER IHRE IDEEN NEHMEN
Vorwort von Anna Gram
Grillenberg liegt etwa dreißig Kilometer südlich von Wien. Am Ende des kleinen Orts befindet sich der so genannte Mandlingweg. Dieser verläuft an einem Bach, vorbei an einigen Gewächshäusern und einer stillgelegten Mühle. Bevor diese Gasse in einen Forstweg übergeht und sich im Wald verliert, liegt ein einstöckiges gelbes Einfamilienhaus mit Balkon, Carport und Wintergarten. Was gleich auffällt: Eine Brücke führt über den Bach auf das Grundstück, und über die nicht eingezäunte Wiese jagen fünf Katzen.
Es ist eine Gegend nach seinem Geschmack. Hier fühlt er sich zu Hause und genießt die Ruhe in seinem Arbeitszimmer. Die Rede ist von Andreas Gruber.
Es ist Ende August, die Sonne steht tief, und es ist bereits fünf Uhr abends. Ich bin eine Viertelstunde zu spät dran und parke vor dem Grundstück. Gruber kommt mir schon entgegen. In brauner Khakihose bis zu den Waden, barfuß in ausgelatschten Sandalen und einem ausgewaschenenTom WaitsT-Shirt. Er ist braun gebrannt, hat ausgebleichtes blondes Haar, einen Dreitagesbart, trägt keine Armbanduhr, dafür aber jede Menge geflochtener Freundschaftsbänder.
Nach einer kurzen Begrüßung bittet er mich auf die Terrasse unter die Sonnenmarkise. Wir kennen uns bereits von zahlreichen E-Mails und Telefonaten, doch persönlich bin ich ihm noch nie begegnet. Für einen Moment verschwindet er im Haus, dann kommt er mit zwei Caipirinhas wieder, mit reichlich Eiswürfeln und jeder Menge in Achtel geschnittenen Limetten. In der Zwischenzeit ist mir auch schon eine Katze auf den Schoß gesprungen.
»Anna – ich darf Sie doch Anna nennen, oder?«, meint er mit seinem Wiener Dialekt. »Auf unser Wohl.«
Wir trinken.
Als freie Mitarbeiterin desLiteraTour Crash Magazinsin München, verschlägt es mich öfter nach Österreich, daher ist mir der Wiener Dialekt geläufig. Für die 25. Jubiläumsausgabe des Magazins wollte ich ein Interview mit Gruber bringen, das sich rasch zu einer Story entwickelt hatte. Der Redaktion gefiel die Idee, und so wurde ein Künstlerportrait mit Buchbesprechungen daraus. Der Aufmacher trug den TitelDer Stephen King der deutschen Horrorliteratur.Kurz vor der Jubiläumsausgabe wurde das Magazin jedoch eingestellt. Die Nummer mit der Coverstory ist nie erschienen.
Zu diesem Zeitpunkt wusste ich bereits, dass Gruber einen neuen Erzählband plante, und bei einem Telefonat bot er mir an, das Vorwort zu seinem neuen Buch zu schreiben. Ich willigte ein, jedoch nur unter der Bedingung, ihn persönlich kennenlernen zu dürfen, und so kam es zu diesem Termin.
Mit dem Glas Caipirinha in der Hand lehnt er sich im Korbstuhl zurück und schließt für einen Moment die Augen. Auf dem Tisch liegt ein Manuskript. Es wird von einem Laptop beschwert. Die Seiten flattern im Wind.
Ich habe mir vorgenommen, das Interview nicht mit den üblichen banalen Fragen zu beginnen.Woher nehmen Sie Ihre Ideen? Wie wird man eigentlich Schriftsteller?Von verschiedenen Interviews weiß ich, dass er allergisch darauf reagiert.
Ich will gerade meine erste Frage stellen, als er plötzlich selbst das Wort ergreift. »Bleiben Sie sitzen, ich möchte Ihnen etwas zeigen.« Er steht auf, geht kurz ins Haus und kommt mit einer schweren Schreibmaschine wieder, die er stolz vor mir auf den Tisch stellt.
»William S. Burroughs hat früher auf dieser Schreibmaschine gearbeitet. Angeblich hat er daraufNaked Lunchgeschrieben, allerdings bezweifle ich das.«
Ich bewundere das Gerät. Es hat eine Tastaturreihe mehr als andere Mas