: Charles Dickens
: Klein Dorrit. Band Vier Roman in vier Bänden (Illustrierte Fassung)
: apebook Verlag
: 9783961305346
: 1
: CHF 2.40
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: Erzählende Literatur
: German
In London lebt William Dorrit, der als Schuldner inhaftiert ist, seit über zwanzig Jahren im Schuldnergefängnis Marshalsea. Er hat drei Kinder: Edward (bekannt als Tip), Fanny und Amy. Die jüngste Tochter, Amy, wurde im Gefängnis geboren und wird liebevoll Klein-Dorrit genannt. Ihre Mutter starb, als Amy acht Jahre alt war. Tip wurde vor kurzem wegen seiner eigenen Spielschulden inhaftiert, und die ehrgeizige Fanny lebt außerhalb des Gefängnisses bei Williams älterem Bruder Frederick. Sie arbeitet als Tänzerin in der Musikhalle, in der Frederick Klarinette spielt, und hat die Aufmerksamkeit des wohlhabenden, aber faden Edmund Sparkler auf sich gezogen. Die kleine Dorrit, die ihrem Vater treu ergeben ist, unterstützt die beiden durch ihre Näharbeiten und kann frei im Gefängnis ein- und ausgehen. Zur Ehre ihres Vaters, dem es peinlich ist, seine finanzielle Lage anzuerkennen, vermeidet Klein-Dorrit es, ihre Arbeit außerhalb des Gefängnisses oder seine Unfähigkeit, es zu verlassen, zu erwähnen. Mr. Dorrit übernimmt die Rolle des Vaters des Marshalsea und wird von den Bewohnern mit großem Respekt behandelt, als hätte er es sich ausgesucht, dort zu leben. Dies ist der vierte von vier illustrierten Bänden.

Erstes Kapitel.


 

Ein Luftschloß.


 

Mannigfach sind die Sorgen des Reichtums und Glanzes. Mr. Dorrits Zufriedenheit bei dem Gedanken, daß er sich habe bei Clennam und Komp. nicht zu nennen brauchen und ebensowenig auf die Bekanntschaft mit einer zudringlichen Person dieses Namens hatte anspielen müssen, wurde am Abend, selbst während sie noch frisch war, von einem Kampf getrübt, der in ihm erwachte, ob er nämlich auf dem Rückweg an dem Marschallgefängnis vorbeifahren und sich das alte Tor ansehen sollte oder nicht. Er entschied, es nicht zu tun, und setzte den Kutscher durch seine Heftigkeit in Erstaunen, mit der er seinen Vorschlag zurückwies, über die Londonbrücke und dann auf die Waterloobrücke zurück über den Fluß zu fahren, – ein Weg, der ihn ganz in die Nähe seiner alten Wohnung gebracht hätte. Trotz alledem hatte die Frage einen Konflikt in seinem Innern hervorgerufen, und er war aus irgendeinem schlechten oder gar keinem Grunde unzufrieden mit sich. Selbst bei Tisch am andern Tage in Merdles Hause war er dadurch so verstimmt, daß er beständig wieder die Sache in seinem Innern hin und her wog, was ein Benehmen zur Folge hatte, das die gute Gesellschaft um ihn her verlegen machen mußte. Es überlief ihn heiß, wenn er daran dachte, was wohl die Meinung des Oberhaushofmeisters von ihm sein würde, wenn diese erlauchte Person mit ihrem lästigen Blick den Strom seiner Gedanken ermessen könnte.

Das Abschiedsbankett war prachtvoll und bildete einen höchst glänzenden Schluß seines Besuches. Fanny verband mit den Reizen ihrer Jugend und Schönheit ein gewisses gewichtiges Selbstbewußtsein, als wenn sie schon zwanzig Jahre verheiratet wäre. Er fühlte, daß er es ihr mit ruhigem Gefühl überlassen könne, die Pfade der vornehmen Welt zu betreten, und wünschte – aber ohne Verminderung seines Wohlwollens und ohne Vorurteil gegen die stilleren Tugenden seines Lieblings –, daß er noch eine solche Tochter hätte.

»Meine Liebe«, sagte er beim Scheiden zu ihr, »unsere Familie blickt auf dich – ha –, daß du ihre Würde und – hm – Bedeutung aufrechterhaltest. Ich weiß, du wirst diese Erwartung nie täuschen.«

»Nein, Papa«, sagte Fanny, »darauf darfst du vertrauen. Meine besten Grüße der lieben, lieben Amy, ich werde ihr bald schreiben.« »Soll ich – ha – sonst noch jemandem etwas ausrichten?« fragte Mr. Dorrit mit einschmeichelndem Ton.

»Papa«, sagte Fanny, vor der Mrs. General augenblicklich auftauchte, »nein, ich danke Ihnen. Sie sind sehr freundlich, Papa, aber ich muß um Entschuldigung bitten: ich habe niemandem etwas sagen zu lassen, ich danke Ihnen, lieber Papa, nichts, was Ihnen angenehm sein würde.«

Sie nahmen in einem äußern Salon voneinander Abschied, wo nur Mr. Sparkler auf seine Frau wartete und pflichtschuldig des Zeitpunktes harrte, wo er Mr. Dorrit die Hand schütteln konnte. Als Mr. Sparkler zu dieser Schlußaudienz zugelassen war, kam Mr. Merdle hereingeschlichen und machte den Eindruck, als wenn er nicht viel mehr Arme in seinen Ärmeln hätte denn ein Zwillingsbruder