: Eva Stachniak
: Die letzte Tochter von Versailles Von der Autorin des Bestsellers 'Der Winterpalast' | Eine berührende Mutter-Tochter-Geschichte zur Zeit der Französischen Revolution
: Insel Verlag
: 9783458770756
: 1
: CHF 14.00
:
: Historische Romane und Erzählungen
: German
: 600
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB

Versailles, 1755: Die junge Véronique fällt auf in den ärmlichen Gassen, wo ihre Familie kaum über die Runden kommt, und bald dringt der Ruf ihrer Schönheit bis zum Schloss, wo Ludwig der XV. das Interesse an seiner Favoritin, Madame de Pompadour, verloren hat. Véronique wird seine Geliebte, doch das Arrangement nimmt ein jähes Ende, als sie ein Kind erwartet.
Jahre später wächst Marie-Louise bei einer Pflegemutter auf, die sie zur Hebamme ausbildet. Über ihre Mutter weiß sie nichts. Sie heiratet den jungen Anwalt Pierre, der an der Seite Dantons für den Sturz des Königs kämpft. Doch eines Tages wird Pierre in einem anonymen Schreiben vorgeworfen, seine Frau habe Verbindungen zum Königshaus - das könnte ihn nicht nur seine Karriere, sondern auch den Kopf kosten ...

Der packende neue Roman der Bestsellerautorin erweckt Schicksale am Vorabend der Französischen Revolution an einem der prunkvollsten Schauplätze royaler Macht fulminant zum Leben - mitreißend und bewegend.



<p>Eva Stachniak, geboren in Breslau, lebt in Toronto. Sie hat für Radio Canada International gearbeitet und als Dozentin für Englisch und Geisteswissenschaften am Sheridan College gelehrt. Ihre Romane<em>Der Winterpalast</em> und<em>Die Zarin der Nacht</em>waren internationale Bestseller. Zuletzt begeisterte ihr Roman<em>Die Schwester des Tänzers</em>ü er Bronislawa Nijinska ihre deutschen Leserinnen.</p>

Monsieur de Guerigny ist derzeit dabei, in einer seinen höchst privaten Zwecken dienenden Wohnung in der Rue Carême Prenant ein Stutfohlen aus der Bourgogne zuzureiten. Die Kleine ist dreizehn, höchstens vierzehn Jahre alt: Wenn sie fünfzehn wäre, würde sie ihn nicht mehr interessieren.

Sie hält inne, hebt den Kopf von dem Dossier und sieht dem König in die Augen. Sie glaubt, seine Gedanken, seine Stimmungen, seine Begierden lesen zu können. Erst gestern rührte sie ihn zu Tränen der Dankbarkeit, als sie bemerkte, er verdiene jeden nur denkbaren Trost, da er in einem Käfig leben müsse, angekettet wie ein Sträfling. »Gift und Gegengift«, sagte sie. »Einander entgegengesetzte Kräfte, die zusammengebracht werden müssen, damit das Leben weitergehen kann.«

»Noch ein Glas Wein?«, fragt sie jetzt.

»Nein, mein Engel«, sagt er. »Wasser.« Er nippt etwas nach Minze duftendes kaltes Brunnenwasser mit ein paar Tropfen Zitronensaft, um sich zu erquicken.

Das Kleid, das sie heute trägt, erinnert an einen blühenden Strauch, dunkelrosa und matt weiß. Die Perlenkette um ihren Hals liegt ein bisschen zu eng an. Immer wieder zupfen ihre Finger daran, aber nur sanft. Wenn sie zu stark daran zieht, reißt die Schnur, und die Perlen fallen auf den Boden.

Das würde ihn ärgern.

Perlen wachsen aufgrund von Irritationen. Jede ist eine Hülle, die einen Fremdkörper umschließt, ein winziges Steinchen, ein Sandkorn. Die Juweliere, die nach Versailles kommen, werden immer ganz poetisch, wenn sie über dieses Wunder sprechen. »Schönheit, geboren aus Unvollkommenheit. Beachten Sie, Madame, die verschiedenen Nuancen in Farbton und Textur. Beachten Sie den Glanz.«

»Ein kleines Stutfohlen aus der Bourgogne«, wiederholt Louis. »Wie heißt sie?«

»Berryer weiß leider nicht alles.«

»Vielleicht weiß es Lebel.«

Das Lächeln ist wieder da.

»Soll ich ihn fragen, Liebster?«

»Nein, machen Sie sich keine Mühe.«

»Wie Sie wünschen.«

Nach dem, was Lebel ihr erzählt hat, war das letzte Mädchen eine Enttäuschung. Auf den ersten Blick recht hübsch, aber … Lebel brauchte den Satz nicht zu beenden. Sie kann sich das Mädchen gut genug vorstellen. Schüchtern, schweigsam, zupft an der Haut um ihren Fingernagel herum. Die Achselhöhlen schweißnass. Man muss ihr jedes Wort aus der Nase ziehen. »Gewiss, Hoheit … Nein, Hoheit … Auf keinen Fall, Hoheit …«

Immerhin nicht der schlimmste Fehlgriff, der Lebel unterlaufen ist, denkt sie. Diese O'Murphy war noch weit schlimmer. Das unverschämte kleine Luder wagte es, sie, die königliche Geliebte, eine alte Kokotte zu nennen. Sie fragte Louis: »Was wollen Sie noch von ihr?« Aber das war, wie Lebel immer wieder betont, das Letzte, was das Mädchen je zum König sagte, und sie kann nun jeden Tag bis an ihr Lebensende über ihre Dummheit nachdenken.

»Guter Mann, Lebel. Loyal.«

»Ja.«

»Das habe ich schon mal gesagt, nicht wahr?«

»Weil es wichtig ist.«

»So ist es. Er geht sogar wie ich, sagt man.«

»Dass das Ihre empfindsame Seele so in Erstaunen versetzt, mein Geliebter!« Sie lacht. Er, der von allen nachgeahmt wird, kann den Drang der Leute, wenigstens ein bisschen von seinem Glanz zu borgen, nie ganz verstehen.

Sie reden von allem und nichts. Von dem unerklärlichen muffigen Geruch im königlichen Schlafgemach, der sich einfach nicht vertreiben lässt. Von den Plänen für den Umbau von Trianon, die sie ihm immer noch nicht zeigen will. Von seinem Enkel Louis Auguste, einem feisten Säugling, der immer ruhig und zufrieden ist. Sein älterer Bruder nennt ihn eine Kröte.

Sie sprechen darüber, wie sie den Rest des Tages verbringen werden. Er muss zu einer dieser Sitzungen des Staatsrats, die er verabscheut, sie wird im Park ihren vorgeschriebenen Spaziergang machen. Sie wünschte sich so sehr, er würde sie begleiten, aber das geht leider nicht.

»Leider.«

Erst als Louis aufsteht, um zu gehen, erwähnt sie Lebel wieder. Von Berryer weiß sie, dass derPremier Valet de Chambre gerade eine neue Taschenuhr beim königlichen Uhrmacher bestellt hat. Keine gewöhnliche Taschenuhr, sagt Berryer, sondern eine Repetieruhr. Sie lässt auf Knopfdruck den Besitzer diskret die Stunden, Viertelstunden und Minuten wissen, ohne dass er sie aus der Tasche zu nehmen braucht. Solche Uhren kosten ein kleines Vermögen und sind der letzte Schrei in Versailles, was keineswegs überraschend ist.

»Denn so kann ein Höfling jederzeit herausfinden, wie spät es ist, ohne Gefahr zu laufen, seinen geliebten Monarchen mit seiner Ungeduld zu ärgern.«

***

Meine früheste Erinnerung an Francine ist die an ein schlankes, zierliches Mädchen, das sich am knisternden Feuer wärmte, an ihr schwarzes Haar, das ihr über die Schultern fiel. Als ich das Zimmer betrat, sprang sie auf, und im nächsten Moment, als hätte sie sich selbst bei einem Verstoß gegen irgendeine Verhaltensregel ertappt, fuhr ihre Hand hoch zu ihrem Mund. Wie hübsch sie ist, dachte ich. Obwohl mir immer noch nach Weinen zumute war, war ich doch bereits hingerissen von ihrer Lebhaftigkeit, von ihren schwarzen freudig funkelnden Augen.

»Du bist also Véronique«, sagte sie, sobald Lisette weg war.

»Ja«, sagte ich.

»Nur Véronique?«

»Véronique Roux.«

»Das ist dein Bett, Véronique Roux«, sagte Francine und deutete auf eine der beiden Schlafnischen.

Das Bett sah einladend aus, am liebsten wäre ich gleich unter die Decke geschlüpft, um mich zusammenzurollen und zu schlafen. Aber Francine war ausgehungert nach Gesellschaft.

»Schnarchst du?«, fragte sie.

Ich schüttelte zuerst den Kopf, dann sagte ich: »Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht, aber es könnte schon sein.«

»Ah.« Francine seufzte resigniert. »Catin hat auch geschnarcht. Ich musste sie immer an den Fußsohlen kitzeln, damit sie sich auf den Bauch dreht.«

Catin, die élève,die man schließlich nach Hause zurückschickte, habe von Anfang an Ärger gemacht, erzählte Francine und zuckte dabei sonderbar mit der Nase. Sie kam aus einfachen Verhältnissen, ihr Vater war Fischhändler. Sie spuckte anfangs immer auf den Boden, aber zum Glück gewöhnte sie sich das schnell ab. Sie knirschte auch mit den Zähnen und war Schlafwandlerin. Sie stand mitten in der Nacht auf und ging nach unten in die Küche und, falls jemand die Tür offen gelassen hatte, in den Hof. Im Nachthemd! Madame befahl den Dienstmädchen, ihr vor dem Schlafengehen die Beine zusammenzubinden. Das half nicht, denn Catin kroch auf dem Boden. Aber nicht deswegen habe man ihr den Laufpass gegeben.

»Warum dann?«

»Sie hat einen Knallfrosch unter Madames Bett gelegt.«

Was für eine begabte Pantomimin Francine war! Nur ein paar Gesten und eine Grimasse von ihr genügten, und ich sah den explodierenden Feuerwerkskörper, hörte Madame panisch kreischen, sah, wie sie sich ans Herz fasste und Schluck um Schluck aus einer Flasche nahm. »Als ob der Teufel sie gezwickt hätte, du weißt schon, wo«, sagte Francine, während ich in Gelächter ausbrach.

Nun, da meine Stimmung etwas aufgeheitert war, machte ich mich daran, das Zimmer, das in den nächsten Monaten meines sein sollte, näher in Augenschein zu nehmen. »Fühl mal, wie weich es ist«, sagte Francine, als ich vor das Bett trat, das, wie mir plötzlich klar wurde, mir ganz allein gehören würde. Mit einer, wie Francine mir erklärte, Matratze, die mit Wolle und nicht bloß mit Stroh ausgestopft war. »Du kannstdie Vorhänge auch zuziehen, wenn du willst«, fügte sie hinzu, während ich mit den Fingern über die blassgrünen, mit einer goldenen Borte verzierten Brokatvorhänge fuhr.

Es gab...