: Ulrike Schweikert
: Die Tochter des Salzsieders
: Verlagsgruppe Droemer Knaur
: 9783426419663
: 1
: CHF 7.00
:
: Historische Romane und Erzählungen
: German
: 464
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Das mittelalterliche Leben einer deutschen Stadt und die Geschichte einer außergewöhnlichen jungen Frau. Anne Katharina Vogelmann ist die Tochter eines wohlhabenden Salzsieders und unzufrieden mit ihrer Rolle als das sittsame Mädchen, das nur auf den Ehemann zu warten hat. Ihr beschauliches Leben ändert sich, als sie dunkle Geheimnisse und sogar einen Mord entdeckt. Die Spur führt in ihre eigene Familie ... Ein hervorragend recherchierter und mitreißend geschriebener historischer Roman von einer viel versprechenden jungen Autorin.

Ulrike Schweikert, geboren 1966 in Schwäbisch-Hall, gab nach sechs Jahren ihren Job als Wertpapierhändlerin auf und studierte zunächst Geologie, später Journalismus. Nach ersten Fantasygeschichten schrieb sie schließlich ihren historischen Roman 'Die Tochter des Salzsieders', der zum Bestseller wurde. Es folgten 'Die Hexe und die Heilige', 'Die Herrin der Burg' und 'Das Kreidekreuz'.

Kapitel 2


Tag des heiligen Blasius,

Sonntag, der 3. Februar

im Jahr des Herrn 1510

Es hatte die ganze Nacht geschneit, und ein kalter Nordwind fegte durch die Gassen. Zaghaft und ein wenig schwankend trat Ursula Vogelmann in den von einigen Kirchgängern und streunenden Hunden bereits zertretenen Schnee. Die hohen hölzernen Sohlen, die sie sich unter ihre weichen Lederschuhe gebunden hatte, gaben ihr keinen Halt, und sie rutschte ein wenig nach vorn, ließ den pelzgefütterten Mantel los, den sie eng um sich geschlungen hatte, streckte die Hände in die Luft und stieß einen spitzen Schrei aus. Sofort war Anne Katharina an der Seite ihrer hübschen Schwägerin und legte der zierlichen Frau mit dem blonden Haar beruhigend einen Arm um den dicken Leib.

»Willst du deinen Sohn schon vor der Geburt in den Schnee werfen? Warte damit doch lieber, bis er das Licht der Welt erblickt hat und sich mit lautem Geplärr dagegen wehren kann!«

Ein Lächeln huschte über das bleiche Gesicht mit den fast blutleeren, bläulich angelaufenen Lippen, als Ursula sich bei ihrer Schwägerin einhakte.

»Du bist so lieb. Glaubst du, daß der Herr mit mir ist und es dieses Mal gutgeht?« In ihren wasserblauen Augen glänzten Tränen.

Anne Katharina nahm die Schwangere in die Arme.

»Ich bete jeden Tag darum. Erst gestern war ich in St. Katharina und habe jeder der großen Jungfrauen – Margarete, Dorothea und Katharina – eine Kerze gestiftet und ein Paternoster gebetet. Und damit du ganz beruhigt sein kannst, schenke ich dir das.«

Sie zog ein kleines, blaues Wachsrelief hervor, das man mit einem Band um den Hals tragen konnte, auf dessen Oval ein Lamm abgebildet war.

»Ein Agnus Dei, wie lieb von dir!« rief Ursula und befestigte das Amulett an ihrem Gürtel. »Ich werde es mir umhängen, sobald wir von der Messe zurück sind.«

Die beiden Brüder, Ulrich und Peter, traten zu den Frauen auf die verschneite Straße. Ulrich, das Oberhaupt der Familie Vogelmann, wenn man von dem blinden Großvater im Spital absah, wirkte mit seiner Größe von fast sechs Fuß und der breitschultrigen, kräftigen Gestalt älter als dreißig Jahre. Der strenge Zug um seinen Mund und das energische Kinn, das er seit ein paar Jahren unter einem Bart verborgen hielt, deuteten schon an, daß er meist seinen Willen durchsetzte und über seine Frau, seine jüngeren Geschwister, die Magd Agnes und die Siedersknechte ein strenges Regiment führte.

Viel zu früh, vor nun schon fünf Jahren, war der Vater zu seinem Schöpfer gerufen worden, und die Mutter hatte bereits bei Peters Geburt im Kindbett ihr Leben lassen müssen. Seit des Vaters Tod verwaltete Ulrich die zwei Sieden, die die Vogelmanns von den Junkern Senft zur Erbpacht hatten, und auch das Sieden der Barfüßermönche, obwohl ein Teil des Erbes den jüngeren Geschwistern zustand. Von Peter erhoffte sich das neue Familienoberhaupt, daß er die Rechte studieren und ein gewitzter Advokat werden würde. Anne Katharina würde ihr Sieden als Mitgift erhalten. Das junge Mädchen wußte, daß es deshalb ihre Aufgabe war, durch eine vorteilhafte Verbindung mit einer anderen, führenden Siederfamilie die angesehene Stellung der Familie zu sichern